Anmerkungen einer begeisterten Cellistin zur Chor- und Orchesterwoche in Alteglofsheim

Bei 30 regulären Urlaubstagen im Jahr schauen einen die Kollegen unter Umständen schon einmal etwas schief an, wenn man sich mit den Worten „Tschüß, ich fahr’ jetzt in den Urlaub, sieben Stunden pro Tag Cello spielen!“ in die Ferien verabschiedet. Wenn man dann auf neugierige Nachfrage auch noch erzählt, daß man für das Konzert keine Gage bekommt, sondern im Gegenteil für die Teilnahme einen für ein Volontärsgehalt nicht unerheblichen Betrag berappen muß, ist das Verständnis oft vollkommen dahin. Doch wenn sich betreffender Kollege dann noch einen Moment Zeit nimmt und mit hochgezogenen Augenbrauen fragt, weshalb man sich das denn antue, dann schlägt die Stunde des begeisterten Hobbymusikanten, der um keine überzeugende Antwort verlegen ist.

Da ist zunächst einmal die Spannung, ob man es denn schaffen wird, innerhalb von einer Woche aus einem inhomogenen, gering und ungleich besetzen Häuflein Musiker einen Klangkörper zu formen, der den Namen verdient. Die erste Probe wird erfahrungsgemäß zur persönlichen Tortur. Wieder einmal nicht genug geübt, oder aufgrund von Besetzungsproblemen nicht einmal gewußt, was am Probentag eins auf dem Pult stehen wird. Schubert 5 - oh, wie schön. Das war doch so ein nettes, fröhliches Stückchen Serenadenmusik, oder? Weit gefehlt. Dirigent Hans-Peter Huber lächelt in die Runde und fängt an, die Zuckerschicht Takt für Takt abzutragen, bis ein unerwartet dramatisches Stück darunter auftaucht. Spannend. Das Orchester ist angetan und motiviert. Nur leider rettet das nicht vor den Tücken des Prima-Vista-Spiels, das im zweiten Satz immer wieder von Neuem mit der Erkenntnis überrascht, daß das Cello entgegen allen Annahmen doch keine leere As-Saite hat. Schade eigentlich. Ein gestrenger Blick von Maestro Huber, gepaart mit der eindringlichen Bitte, pianissimo molto espressivo bitte nicht mit forte zu übersetzen. Die Cellogruppe schluckt ihre Empörung herunter. Die Stelle war doch gerade so gut! Die ersten Geigen lächeln und schweigen beredt.

Dafür ist der künstlerischen Verve in der Haydn-Messe keine Grenze gesetzt. Nach so viel Schubert’scher Filigranarbeit kann der tiefe Streicher sein Glück kaum fassen, daß er jetzt einfach losspielen darf. Prompt kommen nach der Probe Beschwerden vom leicht heiseren Chor. „Holzt doch nicht so, Leute!“ Wäre ja auch zu schön gewesen.

Es bleibt ja aber noch die Kammermusik. Niemand hat behauptet, daß sechs Stunden Orchesterproben am Tag genug seien. Deshalb werden Mittags- oder Kaffeepausen eifrig genutzt, den Sehnenscheiden den Rest zu geben. Wohin man schaut, sieht man in Probenräumen Klein- und Kleinstensembles mit entrücktem Blick auf dem Tod-und-das-Mädchen- oder Mendelssohn- oder Purcell- oder Filmmusik-Trip. Die Intonation nur nicht zu genau nehmen, Hauptsache, man hat richtig Spaß. So mancher Kopf, der einmal neugierig ins Zimmer gesteckt wird, zieht sich binnen Kurzem mit leicht angestrengtem Lächeln wieder zurück. War wohl doch ein bißchen zu schwer für die jungen Leute. Die merken nichts, denn sie sind im Schubert-Himmel, allen „Blue Notes“ zum Trotz.

Die Werkgemeinschaft sorgt sich um das körperliche und seelische Wohl ihrer Kursteilnehmer. Das ist für jeden evident, der einmal die Arbeitsgemeinschaft Tanz besucht hat. Wem die Musik noch nicht reicht, der kann in fröhlicher Runde auch noch alle anderen Glieder kräftig bewegen, die beim Instrumentalspiel nicht gebraucht werden. Einmal am Tag durchschwitzen, den Frust über die nicht bewältigten Zweiunddreißigstel-Stellen hinauslassen, sich richtig verausgaben und dabei aus dem Lachen nicht herauskommen. Das sind Tanzstunden bei Annette.

Der Kollege beginnt sich allmählich zu fragen, ob man das Konzept „Urlaub“ nicht etwas falsch verstanden hat. Das, was ihm beschrieben wird, klingt eher nach Verausgaben als Ausruhen und Kräfte sammeln. Gut, gesteht man ihm zu, zum Schlafen kommt man nicht sonderlich viel, aber spätestens, wenn nach erfolgreichem Konzert der Applaus durch den Konzertsaal der Bayerischen Musikakademie in Alteglofsheim brandet und man es nicht schafft, das erleichterte und stolze Lachen zu unterdrücken, während man ins Publikum schaut, dann hat sich die ganze Schinderei doch wiedereinmal gelohnt. Und man wird es wieder tun. Im nächsten Jahr.

Andrea Ullrich