Die diesjährige Witt-Woche in der Wies stand unter dem zwar nicht verbal formulierten, aber musikalisch unverkennbaren Motto: Rokoko-Barock und bayerisch-wienerische Frömmigkeit.
Zur Aufführung kam Händels ‚Messias' - in der Bearbeitung von W.A. Mozart. Die Feier der heiligen Messe am vorhergehenden Sonntag wurde durch die ‚Deutsche Messe' von Franz Schubert mitgestaltet. Welche Messe paßt besser in die graziös-gefühlsbetonte Ausgestaltung dieser schönen Barockkirche? Und Händels ‚Messias' mit dem Stempel Mozartscher Leichtigkeit, den ungewohnten Klarinettentönen, dem Großaufgebot des Orchesters, er fügt sich zur Architektur, zur Malerei, zum Geist der Wieskirche. Aber das bedeutete Arbeit für all die Sänger und Instrumentalisten, denn dieser ‚Messias' war allen neu, also textlich aufgepaßt und - wenn die Noten auch weitgehend mit den gewohnten Klängen übereinstimmten - der Ductus war doch ein anderer, vor allem die Orchestrierung. So gestalteten sich die Proben oft überraschend, diesen Klang hatte man noch nicht gehört, diese Textierung war neu, ein Quartett anstelle des so liebgewonnen Chores und hier ein Adagio? Vereinzelt erklang Protest: ‚Der ‚Messias' in der Originalversion in englischer Sprache mit kleiner Besetzung, das ist der wahre ‚Messias'. Aber der wäre kein Werk für die Wies, 130 Sänger und Instrumentalisten wollten sich musikalisch betätigen, wollten ihr Können unter Beweis stellen oder nur einfach mitmachen, mitlernen, mitsingen, mitspielen. Und dafür ist die Wies da - nicht für elitäre Konzerte, sondern für ein Gruppenerlebnis ganz anderer Art.
Anreise am Donnerstag, Abendbrot um 18.00 Uhr. Trotz eines frühen Starts in Berlin um 9.00 Uhr kamen wir staubedingt zu spät, nicht nur, daß wir das Abendessen verpaßten, die erste Probe hatte schon begonnen, als wir endlich in der Landvolkshochschule Wies, Steingaden eintrafen. Also schnell noch etwas essen, damit das Küchenpersonal zu seiner wohlverdienten Ruhe kommt, die Zimmerschlüssel entgegennehmen, die Koffer einstellen und dann ab zu den letzten Probeminuten. Der Anfang war nicht gerade das, was ich mir erhofft hatte. Aber anschließend konnte man alte Freunde begrüßen, neue Gäste erleben, kurz - sich akklimatisieren.
Der Freitag - Regen zwang uns, die gewohnten Einsingübungen ins Haus zu verlegen - folgte dem gewohnten Rhythmus von Morgenlob, Frühstück, Probe, Mittagessen und anschließender Ruhezeit bis zum Kaffee, dann Arbeitskreis, Probe, Abendessen, Abendandacht, Probe, Freizeit - oder doch lieber gleich Tanz, um die notwendige Bewegung zu haben, die unnötigen ungewohnten Zusatzkalorien abzuarbeiten. Agnes Krämer hatte sich neue Tänze für die Tanzwilligen (oder -wütigen) ausgedacht und uns zum Schwitzen gebracht. Für Neueinsteiger zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, aber die Umsicht und fürsorgliche Nachbereitung machte aus Neulingen Fans, die sich keinen Tanzabend entgehen ließen, bis zum bitteren Ende. Erholung gab es dann mit der notwendigen Flüssigkeitszufuhr und endlosen Gesprächen im Bierstübl.
Der Sonntag zeigte sich uns wohlgeneigt, sonnig und heiter, so daß wir über die Wiesen vorbei an wiederkäuenden Kühen, leises Muhen und Kuhgeläut im Ohr, gen Wieskirche ziehen konnten, alle festlich gekleidet und frohgestimmt. Die Schubertsche Musik der 'Deutschen Messe' erklang in schöner Harmonie und erhellte zusätzlich die strahlende Kirche .
Nachmittags - es war ja Sonntag und Proben bedeutet Arbeit, also gibt es sonntags keine Proben - gaben sich unsere Referenten die Ehre, ein kleines Konzert in der akustisch so schönen Kirche in Wildsteig abzuhalten. Der Fußweg dorthin durch saftige Wiesen, kleine Dörfer, deren Balkone und Gärten mit ihrer Blütenpracht im Wettstreit stehen, ist für den Großstädter ein Genuß - anders dagegen die nicht gerade ergonomisch gebauten Bänke in der kleinen Kirche. Nur langes Probieren auf diesen zur Buße angefertigten Sitz- und Kniebänken garantiert einen Hörgenuß - jetzt, beim dritten Mal hatte ich die richtige Haltung gefunden (nur quer ist es sitzend dort auszuhalten). Das abwechslungsreiche Konzert mit den unterschiedlichsten solistischen Darbietungen und miteinander wettstreitenden Künstlern war ein musikalischer Genuß, begleitet von den interpretierenden (und für den Messias werbenden) Worten von Dr. Dietmar Hiller.
Zurück in der Landvolkshochschule war traditionell der bayerische Abend angesagt - sprich: Holzbänke und -tische im Freien (das Wetter spielte mit) und Leberkäs, Weiß- und andere Würstl, Kraut, Käse, Brot, Radi etc., dazu natürlich Bier und anschließend (das paßte auch), Wein.
Der Montag erwies sich wettermäßig als äußerst günstig für die noch zu leistenden Probearbeiten am 'Messias' - es goß in Strömen, also richtiges Arbeitswetter. Die Meldung, daß die Getränkekasse ein erhebliches Loch aufwies (immerhin ca. 50 Euro), trübte die Stimmung zusätzlich ein. Ein kleiner Druck in der Magengegend ließ sich einfach nicht ganz vertreiben - Gottlob gab es zwei Tage später Entwarnung. Der Koch war schuld, er hatte, um uns einen guten Biergenuß zu sichern, zwei Kästen des edlen Getränks in den Kühlschrank gestellt, aber keiner wußte das. Der fahle Geschmack im Mund löste sich und erlaubte ein lächelndes Gesicht und einen jubelnden Klang bei der ‚Halleluja'-Probe. Denn - Herr Witt hatte, in Anbetracht dessen, daß er im nächsten Jahr die Gesamtleitung an Thomas Hofereiter übertragen will, diesen aufgefordert, den zweiten Teil des ‚Messias' doch selber mit dem Chor einzustudieren.
Und da bekamen wir Chorsänger Unterricht in sängerischer Rhetorik. Schon bei den Witt-Proben wurden wir angehalten, ‚die LLL ist lll, das JJJ ist sss (möglichst stimmhaft)' zu sprechen, ‚WWÜrdig', WWonne', ‚wenigstens einmal möchte ich ‚WWonne hören', aber Hofereiter übertraf das noch mit seinem ‚BRRREcht en - tzwei die Ke -tten a-lle' und ‚KKommTT (es darf natürlich nur ein T zu hören sein) HER' (das HER muß wie eine Säule stehen), ‚ich höre nichts, ich höre nur OM'. Nun, die Konsonanten- und Vokalübungen sind uns allen bestimmt noch im Ohr. Dazu kam dann noch die Aufforderung, das ‚Halleluja' wirklich als Jubelruf auch mimisch zu gestalten (singt sich sowieso besser, wenn man dazu ein frohes Gesicht macht). Es hat auch gefruchtet, wenigstens teilweise, jedenfalls sagte mir eine Zuhörerin (Hedwigschorsängerin, die nur zum Konzert kommen konnte), sie hätte sich an der sichtbaren Freude des Chores mitfreuen können. Und was will man mehr?
Überhaupt hatte ich den Eindruck von Harmonie und Freude auf dieser Wies-Woche, wenn auch der Probeneifer und -ernst so mancher Heranwachsender zu wünschen übrig ließ (‚Bist Du schon einmal zu einer Probe pünktlich gekommen?' - Langes Schweigen. Dann: ‚Ja, einmal'; und auch verbessert das Tragen einer Baseballkappe nicht unbedingt die Tenorstimme). Beißende Anpfiffe gab es nur einmal, der Ausspruch: ‚Die Männer blöcken, sie singen lediglich mit dem Unterleib' war harmlos gegen die korrespondierende Aussage von vor zwei Jahren,. ‚Wenn Sie so singen, weigere ich mich, zu dirigieren', das wäre zwar schmerzhaft, aber manchmal sogar verständlich. Die Zickenaufstände in den einzelnen Stimmen wurden glücklicherweise von ausgleichenden Mitsängerinnen aufgefangen und von duldsamen ertragen und Aufstellungsschwierigkeiten von überlegten Mitsängern bereinigt. Neueinsteiger erwiesen sich als Bereicherung, nur - die alte Küchenbesetzung wurde von manchen schmerzhaft vermißt. Aber - was bedeutet es schon, daß die Mittagssuppe des Salzes entbehrte, was die Abendmahlzeit dann (man muß pro Tag soundsoviel Salz verabreichen) im Übermaß hatte.
Der gesellige Abend zum Abschluß nach der Aufführung des ‚Messias' war wie immer gelungen. Die Beiträge der Kinder und Jugendlichen sprühten vor Phantasie und engagierter Darbietung, besonders angetan hat es mir Frau Wasserflasche. Der Arbeitskreis 'Höfischer Tanz' stellte seine Bemühungen vor und Agnes Krämer, trotz Fieber und Medikamenten sowohl an der Pauke, als auch beim Tanz wie immer tätig, gestaltete ihren Abschlußbeitrag im Rahmen der Gesundheitsreform zur Freude aller Anwesenden. Sozusagen als Krönung des Abends und zur bleibenden Erinnerung betätigte sich Dominik Kaulen als Interpret der diesjährigen Wittwoche mit seiner Darbietung (‚Es klang wie Kraut und Ruben, ach Entschuldigung, Rüben), an der die Zuhörer mit schon vorgestellten Sprechübungen ihren Anteil hatten. Den Abschluß (Kanon oder wie immer, eine Melodie muß noch gefunden werden) vergißt man einfach nicht:
Witt war wunderbar und Hofereiter auch,
wir singen wie der Superstar und stehn nicht auf dem Schlauch',
aber bitte mit den notwendigen W's und dem stimmhaften und scharfen S, nicht zu vergessen das doppelte N bei ‚stehn nicht'.
Der wirklich tränenreiche Abschied am nächsten Morgen verspricht ein neues, wunderschönes Wiedersehen im Sommer 2005 - dann Chorproben Witt, Orchesterleitung Hofereiter, Gesamtleitung Hofereiter, eine neue Wieswoche.
Gerlinde Redzich