Kurzkur für Körper, Geist und Seele


Chor- und Orchesterwoche in der Wies im Juli 2002

Wissen Sie, was die Werkgemeinschaft Musik ist? Mir war diese Organisation bis vor kurzem völlig unbekannt. Unser Chorleiter machte uns auf sie aufmerksam, und ich habe etwas kennengelernt, was sich lohnt, kennenzulernen, wenn man Interesse an Musik, speziell Kirchenmusik hat.

Die Werkgemeinschaft gründete sich 1946. Sie hatte ihren Ursprung in der katholischen Jugendbildungsarbeit und wollte sich dem Anliegen widmen, die Jugend im außerschulischen Bereich musikalisch weiterzubilden. Daraus entwickelte sich mit der Zeit eine Organisation, die bundesweit, gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Jugend, Frauen und Senioren, aktiv an der Diskussion über aktuelle Probleme des Musiklebens unserer Zeit beteiligt ist und durch ihr Programm jedem, der selber Musik nicht nur miterleben, sondern auch ausüben möchte, ein Podium bietet, sich selbst weiterzubilden und selbst mitzuwirken an Aufführungen, die man sonst, z.B. als kleiner Kirchenchorsänger, nicht hat. Das Veranstaltungsprogramm umfaßt außer Chorsingen, Percussion und Orchesterspiel Kammermusik, Musizieren mit Eltern und Kindern, Lied, Tanz Spiel und Gottesdienstgestaltung. Ökumene wird dabei großgeschrieben.

Über das Jahr verstreut werden in verschiedenen Regionen Deutschlands Veranstaltungen angeboten. Ich habe dieses Jahr an der 1. Sommerchor- und Orchesterwoche in der Katholischen Landvolkshochschule Wies, Steingaden, teilgenommen (es gab sechs unterschiedliche Angebote). Mich reizte besonders die Möglichkeit, an einer Aufführung von Joseph Haydns „Schöpfung“ aktiv mitzuwirken. Außerdem war ich auch neugierig, den Domkapellmeister und Leiter des Hedwigchores von Berlin, Michael Witt, selber zu erleben. Und – last but not least - bot sich der Veranstaltungsort als Start in den Sommerurlaub als besonders reizvoll an.

Und ich wurde keineswegs enttäuscht. Großzügig angelegt, liegt diese Langvolkshochschule landschaftlich so schön, daß sich Urlaubsstimmung für einen gestreßten Großstädter schon beim ersten Rundgang um den Gebäudekomplex einstellt. Als ich die von Wald und Wiesen gesäumte leicht bergansteigende Straße entlangschlenderte und begierig den Duft frisch gemähten Grases einatmete, erstaunte mich eine kleine im Abendsonnenschein golden schimmernde Kugel, die über der Wiese sichtbar wurde. Beim Weitergehen entstand die Shiloutte der Wieskirche. Ja, daher hat sie ihren Namen, kam mir augenblicklich in den Sinn. Nur 15 Minuten Fußweg, und schon war man dort. Der Blick aus meinem komfortablen Zimmer mit Dusche und Toilette fiel auf eine Alpenbergkette, der Hohe Trauchberg, wie ich es später meiner Karte entnahm. Einmal sah ich ihn auch weiß schimmern, als eine Regennacht die Temperaturen bei uns bis auf 11° sinken ließ.

Nach dem reichhaltigen Abendessen ging es zur ersten Probe, - und da wurde mir zuerst mal ganz schummerig zumute. Wir versuchten (vom Blatt) gleich vierstimmig den Chorsatz aus der Schöpfung „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ zu singen. Jeder Chorteilnehmer hatte zu Hause mit den Reiseunterlagen auch eine Partitur seiner Stimmlage erhalten. Aber Zeit, mich einzusingen, hatte ich in Berlin überhaupt nicht gehabt. Wir hatten gerade eine Gospelmesse einstudiert und 10 Tage vor meiner Abfahrt war die letzte von 3 Aufführungen gewesen. Also Vorbereitung war für mich nicht möglich gewesen. Aber, oh Wunder, es klang so, daß man den Chorsatz wiedererkannte, obwohl natürlich nicht alle Stimmen alle Töne sangen und meine Angst, hier völlig überfordert zu sein, legte sich dann auch schnell in den folgenden Einzelproben.

Der Tagesablauf war streng geregelt. Vor dem Frühstück gab es die Gelegenheit, am gemeinsamen Morgenlob in der schönen Kapelle teilzunehmen, und nach dem Frühstücksbuffet begann der musikalische Tag mit einem gemeinsamen Einsingen draußen in der frischen Luft. Ein bißchen Morgengymnastik ließ die Stimme aufwachen, so manch köstliches Quodlibet wurde angestimmt, Kindheitserinnerungen erwachten bei lange nicht mehr gesungenen Volkslieder, und anschließend begannen die Stimmproben bis zum Mittagessen. Dem Nachmittagskaffe schloß sich je nach Lust und Laune ein Arbeitskreis an. Ich hatte mich für „Höfischen Tanz“ entschieden und genoß es bald mit ausgesprochenem Vergnügen und viel Gelächter, gemessenen Schrittes meinen Tanzpartnern (mit der entsprechenden Mimik) zu begegnen oder sie zu verlassen, ein Kurzkurs im Flirten war das, den uns Agnes Krämer mit ihrer unnachahmlichen mündlichen und gestischen Vorführungskunst angedeihen ließ – der hölzernste Teilnehmer entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem in seiner Art graziösen, die Körpersprache und Mimik je nach Tanzfigur beherrschenden Partner, ja, unsere Kreativität wurde so angestachelt, daß wir selbst Ideen für Ein- und Auszug der Paare für den Aufführungsabend entwickelten. Kostüme hatten wir nicht, und ich hatte noch nicht einmal einen Rock, geschweige denn ein Kleid mit, daß zu so einer Aufführung tragbar gewesen wäre. Aber das war überhaupt kein Problem – es wurde getauscht und gezaubert, so daß es eine wahre Pracht war. Besonders zu erwähnen ist das Alter der Teilnehmer, es reichte von 16 bis über 60 Jahren.Dann wurde wieder geprobt, jetzt mit dem gesamten Chor.

Nach dem Abendessen war Gelegenheit zum Abendlob in der Kapelle. Pater Bernhard Paal (SJ) aus München hatte sich, dem Aufführungsgegenstand entsprechend, in seinen begleitenden Worten das Thema der Schöpfung gewählt und bot uns geistliche Nahrung für eigene Überlegungen.Der offizielle Tagesschluß war dann eine Chor- und Orchesterprobe der am Tag geprobten Stücke. Das waren nicht etwa nur die Chöre aus Haydns Schöpfung. Nein, wir probten noch für den ersten Sonntag in der Wieskirche die Missa parochialis in honorem Sancti Mauritii für Chor und Bläser von Wolfram Menschick (DKP in Eichstätt) ein und für unseren eigenen ökumenisch so schön gestalteten Gottesdienst in der Kapelle dazu noch eine Pfingstsequenz von Fritz Schieri, aus den Responsorien von Max Reger das „Dein, o Herr, ist die Kraft“ und Josef Gabriel Rheinbergers Choral: „Dein sind die Himmel“. Und man empfand keinen Streß dabei, es war ein gemeinsames Bedürfnis, betend zu singen und zu lernen.

Nach so viel Musizieren war für die Unermüdlichen Bewegung angesagt. Agnes Krämer gestaltete abends für jeden, der Lust hatte, eine andere Art Tanz als die gemessenen Schritte des höfischen Tanzes. Dann wurde es mitunter recht wild und schweißtreibend – nur gut, um die ungewohnten vier Mahlzeiten täglich zu verdauen. Alle Kinder (von den Zwillingsbabys bis zum Dreikäsehoch), die mit den musizierenden Eltern in der Wies dabei waren, hatten dann ihren besonderen Spaß. Und danach hatte man Durst. Das Bierstübchen lud zu einem Umtrunk ein, wenn man denn noch Kondition und Lust hatte. Jeden Abend sagte ich mir, du mußt doch mal früher schlafen gehen. Pustekuchen, daraus wurde nie etwas. Aber das ist ja auch kein Wunder, wenn man bedenkt, daß man zu Gesprächen die Auswahl unter 120 Musikbegeisterten aus ganz Deutschland, ja sogar aus Polen und den Niederlanden hatte. Da gab es keinen, der keinen Kontakt, keinen, der nicht einen, ach was, eine ganze Palette von interessanten Gesprächspartnern fand. Ausruhen kannst du dich nach dieser schönen Zeit, das war meine Parole.

Am Sonntag ging es dann zum Gottesdienst in die Wieskirche, wo wir die Menschick-Messe singen wollten. Das war ein wahrhaft göttlicher Anblick, als man über die beiden zur Wallfahrtskirche führenden Wege durch die Wiesen die Konzertsänger in festlicher Konzertkleidung und die Instrumentalisten mit ihren Instrumenten zur Kirche streben sah, vorbei an wiederkäuenden braunen Kühen und bunten, teilweise gefährlich vorbeibrausenden verhinderten Tour-de-France-Fahrern. Da erschien der Kopf eines roten Cellokastens über einer Hecke, ohne daß man die Trägerin sah, dann folgten gemessenen Schrittes schwarzgekleidete Bässe. Wie habe ich mich geärgert, keinen Fotoapparat bei der Hand zu haben.

Nachmittags war dann Erholung – Sonntagsruhe - für uns Teilnehmer angesagt und wir durften, anstatt selber singen oder musizieren zu müssen, unseren Referenten bei einem kleinen Konzert in der 4 km entfernten Kirche von Wildsteig lauschen. Die Kirche wird mir in ewiger Erinnerung bleiben, so unbequeme Sitzbänke, wie sie diese Kirche bietet, habe ich noch nie erlebt.

Und dann kam am Donnerstag das große Konzert. In der Wieskirche wurde Haydns „Schöpfung“ ungekürzt vor einem interessierten und dankbaren Publikum aufgeführt, für das Orchester eine Mammutleistung. Das war ein Erlebnis, das man ganz bestimmt nie vergißt. Wie gut oder schlecht wir geklungen haben nach immerhin 6 Tagen intensiver Probenarbeit, kann man selber nicht beurteilen. Ich freue mich schon auf die CD, die dort aufgenommen wurde. Dann kann ich den Gesamteindruck hören. Aber selbst, wenn ich mich zum Kritikaster aufschwingen und das Ergebnis hart beurteilen würde, die Empfindungen, die ich bei diesem Konzert in der so hellen strahlenden Barockkirche hatte, die sind unvergeßlich schön. Ich freue mich schon auf das nächste Jahr in der Wies.

Gerlinde Redzich