von FRITZ SCHIERI
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Bild "Heinrich Rohr.jpg"
Am 29. Dezember 1997 verstarb Heinrich Rohr im 96. Jahr seines Lebens. In Abtsteinach im Odenwald geboren, wurde er Volksschullehrer; nach dem Kriegsdienst berief man ihn zum Kirchenmusikdirektor der Diözese Mainz und zum Leiter des dortigen bischöflichen Instituts für Kirchenmusik. Mit großer Intensität hatte er sich für die Erneuerung des gottesdienstlichen Singens engagiert, zunächst in seinem Bistum (Gesangbuch 1952) und bald auch darüber hinaus; zahlreiche Veröffentlichungen belegen dies eindrucksvoll und sind bis heute im Gebrauch. Als Komponist zeichnete er sich aus durch besonders einfühlsame Gestaltung einstimmiger Melodien, speziell auch für den Volksgesang in der Liturgie.

Die Prinzipien dieser seiner Lebensarbeit lassen sich so zusammenfassen: "Gottesdienstliche Musik, die den heutigen Menschen erreichen soll, muß muttersprachlich sein. Ihr Kernbereich ist die Einstimmigkeit (...) Erforderlich ist eine enge Sprachbezogenheit, und zwar je nach Textvorlage und liturgischem Zweck in großer Bandbreite von gebundener Prosa bis zum Lied im engeren Sinn. Dabei gewinnen die traditionellen Modi ("Dorisch" etc.) neue Kraft; wünschenswert ist Formelhaftes, das aber flexibel anzuwenden ist. Auch Volkstümliches und Kindgemäßes soll mit berücksichtigt werden; es darf nur nicht zum Sentimentalen oder Niedlichen absinken."1 Zur Komposition derartiger Melodien traten immer wieder Kurse, vor allem auch für Ordensschwestern, bis ins hohe Alter mit erstaunlicher Energie und Begeisterungsfähigkeit durchgeführt.

Angesichts dieser Disposition und Konzeption verwundert es nicht, daß Heinrich Rohr frühzeitig eine enge Bindung zur Werkgemeinschaft Lied und Musik (so der damalige Name) gefunden hat. Diese war 1946 auf Initiative des Generalpräses der Deutschen Katholischen Jugend, Ludwig Wolker, in Altenberg entstanden und vereinigte die in der Jugend aktiven Persönlichkeiten zu regelmäßigen Tagungen, zu Erfahrungsaustausch und Erprobung neuer Wege und Möglichkeiten.

Man könnte dabei von einem Aufbruch schöpferischer Kräfte sprechen, durch den die durch die NS-Ideologie und den Krieg entstandenen Zerstörungen allmählich überwunden werden sollten. Zu den Zielsetzungen gehörte auch die Erneuerung des freien Musizierens in der Jugend, besonders im Rahmen des katholischen Gottesdienstes.

Kein Wunder, daß ein Mensch wie Heinrich Rohr hier ein reiches Feld für Versuche und Erprobung neuer Wege vorfand. Gemeinsam mit anderen, vor allem mit Dr. Walther Lipphardt, entwickelte er neue Formen liturgischen Singens in deutscher Sprache. Während Lipphardt die Probleme mehr auf wissenschaftliche Weise zu lösen suchte, kamen Rohrs Ergebnisse mehr auf musikpraktische und emotionale Weise zustande: weniger Theorie und Historie als Praxis und Lebendigkeit. Lebhafte Diskussionen bereiteten allmähliche Klärungen vor. Von Seiten der kirchlichen und kirchenmusikalischen Autoritäten wurde das zunächst gar nicht gerne gesehen, bis dann das 2. Vatikanische Konzil mit seiner Liturgiereform den großen Umschwung brachte. Jetzt wurde der liturgisch-musikalische Arbeitskreis der WG (der sogenannte A-Kreis), bei dem Rohr schon lange mitgearbeitet hatte, zu offiziellen Aufgaben herangezogen. Das betraf vor allem die Erarbeitung des Einheitsgesangbuchs "Gotteslob" . Hier wurde Rohr, zusammen mit anderen A-Kreis-Mitgliedern, in verschiedene Arbeitsgruppen integriert.2

Besonders wichtig und fruchtbar war sein Mitwirken bei der Erstellung der Denkschrift "Gemeinde-Psalmodie in deutscher Sprache", die eine direkte Vorarbeit für die Gestaltung des Psalmensingens im Einheitsgesangbuch (in Messe und Stundengebet u. a.) einbrachte.3 Schon lange und erst recht hier hatte Rohr eine Form des Psallierens gefunden, die unserer Sprache gemäß war und dennoch die Tradition nicht außer acht ließ. Ein gleiches gilt für die Kehrverse. Ohne Übertreibung kann man sagen, daß das Gesangbuch ohne Rohrs vorbereitende und mitwirkende Aktivitäten nicht die Gestalt angenommen hätte, die es bis heute zum erfolgreichen Buch dieser Art macht.4

Rohr war also sicher die führende Person in der liturgisch-musikalischen Arbeit der WG. Immer verkörperte er den Typ des schöpferischen Menschen, der ohne viel theoretischen Ballast konkrete Impulse gab, vor allem durch hervorragend durchgestaltete Kompositionen. So wurde er auch zum Autor einer Vielzahl von Melodien im "Gotteslob". In all seiner Bescheidenheit konnte er nicht verhindern, hier so häufig vertreten zu sein: "Qualität und Fülle des von ihm erstellten Materials war eben überwältigend und unabweisbar."5 Die katholische Kirche des deutschen Sprachraums sollte dankbar sein für diesen Menschen und sein Lebenswerk. Die Werkgemeinschaft Musik aber darf stolz sein, daß sie ihn zu ihren Mitarbeitern zählen durfte; sie sollte sich seiner stets in Dankbarkeit erinnern.



1 Zitiert aus: "Ein Leben für die singende Gemeinde/Heinrich Rohr zum 95. Geburtstag" - Mainzer Perspektiven 10, Mainz 1997; hier auch Biographie und Werkverzeichnis.
2 Näheres s. "Redaktionsbericht zum EGB Gotteslob" - Paderborn und Stuügart 1988.
3 S. Anm. 2, S. 347 ff.
4 S. Anm. 1, S. 79.
5 ebda., S.79.