VON ALEX STOCK
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Reformbewegungen scheinen nicht bilderfreundlich zu sein. Revolutionen zielen offenbar immer auch auf die herrschende Bilderwelt. Die französische Revolution stürzte die Bilder, die ihr als Repräsentanten des Ancien Regime galten. Die russische Revolution stürzte gleichermaßen Zarenbilder und Ikonen.Die kulturelle Machtergreifung der Nazis zerstörte oder vertrieb das, was ihr als die entartete Kunst der dekadenten Bourgeoisie galt. Die soziale und politische Revolution greift immer auch die Bilder an, insofern sich in ihnen das herrschende System materialisiert und die Weltanschauung der Untertanen prägt. Die Bilderwelt ist die zur zweiten Natur gewordene Inneneinrichtung jener Lebenswelt,die umgestürzt werden soll. Der offenkundige Ikonoklasmus revolutionärer Bewegungen hat es dabei aber doch schließlich nicht auf Bilderlosigkeit abgesehen, sondern intendiert durch die Abräumung der alten Bilderwelt hindurch die Einrichtung einer neuen: klassizistische Heroen statt der Könige und Heiligen, Agitprop statt der Ikonen, nordische Helden statt expressionistischer Gebrochenheit.

Wie steht es mit diesem, wie es scheint, allgemeinen kulturgeschichtlichen Phänomen innerhalb der Religionsgeschichte, näherhin der jüdisch-christlichen? Auf dem Felde der Religion ist Kulturrevolution im Kern Kultreform. Die erste durchgreifende Liturgiereform, von der uns die Bibel berichtet, ist die des Königs Josia in den letzten Jahrzehnten des 7. Jh. v. Chr. Sie ist nach dem Bericht im 2. Buch der Könige (Kp.22 und 23) ein einziger Bildersturm. Die Altäre und Bilder der Astarte, des Baal,der Sonnenwagen des Sonnengottes und die Malsteine im Tempel und in den Höhenheiligtümern des Landeswerden entfernt und zerstört, damit an den so gereinigten heiligen Stätten der wahre Gottesdienst in Sinne des wiederentdeckten Bundesbuches statthaben kann.

Was der Paulus der Apostelgeschichte in seiner Areopag-Rede der götterbilderreichen Stadt Athen unterbreitet, lautet, ausgehend von einem bilderlos dem unbekannten Gott geweihten Altar: Gott, der Schöpfer der Welt, wohnt nicht in Tempeln und hat mit Kunstwerken von Menschenhand nichts im Sinn. Zum realen Bildersturm reicht die Kraft des jüdischen Wanderpredigers Paulus nicht; aber angebracht wäre er, denn er war „aufgebracht im Geiste, als er die Stadt ganz voll Götzenbilder sah“ (Apg. 17,16).

Wo im Mittelalter Reformbewegungen die Kirche zur apostolischen Einfachheit und zur Verkündigung des Evangeliums zurückbringen wollen, taucht konstant die Kritik am kirchlichen Bildergebrauch auf: bei Waldensern und Lollarden, bei Wyclif und Hus. Der Ordensreformator Bernhard von Clairvaux und die sich ihm anschließenden zisterziensischen Generalkapitel (1134, 1154) wollen wenigstens die Kirchen der Mönche von dem romanischen Bildergewusel gereinigt sehen, das nur ablenkt von der Kontemplation der göttlichen Dinge. Savonarola läßt um der apostolischen Armut und der sittlichen Reinheit des Evangeliums willen die Kunsteitelkeiten von Florenz verbrennen.

In den ersten Jahrzehnten des 16. Jh. sammeln und steigern sich jene mittelalterlichen Reforminitiativen zur konfessionsbildenden Reformation, die nicht zuletzt Gottesdienstreform ist unter Berufung auf das Evangelium. Und wieder stehen Bilder im Visier der Kritik. Radikal, was die Forderung der Reinigung der Kirchen von allem Bildwerk angeht, bei Karlstadt, Zwingli, Calvin, Bucer, moderater bei Luther. Der König Josia erscheint ausdrücklich als Vorbild binnenkirchlicher Kultreform. Wenn auch hier und da,z. B. bei Luther, weniger an eine ikonographische Abschaffung als an eine neue ikonographische und ikonopraktische Orientierung gedacht ist, so ist als integrales Moment aller Reformansätze eine Reserve gegenüber Bildern im Christentum festzuhalten, die, wenn nicht zur Abschaffung, so jedenfalls zu einer Reduzierung ihrer Zahl und ihres Gebrauchs führt. Alle genannten reformerischen und reformatorischen Bewegungen wollen die Rolle der Bilder im Christentum verringern, keine will sie etwa verstärken.

Wie steht es damit nun beider letzten großen Liturgiereform der Kirchengeschichte, der des II. Vaticanums? Nicht wenige ihrer Neuerungen können ja angesehen werden als späte Einlösung jener Postulate, die die Gottesdienstreform des 16. Jh. vorgetragen hatte:die Landessprache, die Betonung von Wort und Predigt, die Konturierung des Mahlcharakters, die Kelchkommunion. Wie steht es mit den Bildern?

Die Frage der Bilder ist sicher kein Thema, das die Konzilväter besonders interessiert hat. Das mag angesichts der Tatsache, daß wir in einer ausgesprochen visuellen Zivilisation leben, verwundern, aber es ist so. Die Konzilstexte befassen sich an zwei Stellen relativ kurz mit der Bilderfrage, in der "Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute"1 und in der "Liturgiekonstitution"2; das Dekret über die sozialen Kommunikationsmittel berührt einmal beiläufig die Frage der "Freiheit der Kunst" und betont dabei den Vorrang der ethischen vor den ästhetischen Werten.3

Die Pastoralkonstitution kommt in Art. 62 auf das Thema der bildenden Künste zu sprechen. Es wird dort in einem Atemzug mit der Literatur verhandelt (auffallenderweise nicht mit der Musik). Das Interesse ist auf das Literatur und bildender Kunst Gemeinsame gerichtet, nicht auf die jeweiligen medialen Besonderheiten, also nicht auf die Sprache und sprachliche Form einerseits, Visualität und bildnerische Gestaltung andererseits. Das ihnen Gemeinsame ist das Interesse am Menschen. "Auf ihre Weise sind auch Literatur und Kunst für das Leben der Kirche von großer Bedeutung. Denn sie bemühen sich um das Verständnis des eigentümlichen Wesens des Menschen, seiner Probleme und seiner Erfahrung beidem Versuch, sich selbst und die Welt zu erkennen und zu vollenden; sie gehen darauf aus, die Situation des Menschen in Geschichte und Universum zu erhellen, sein Elend und seine Freude, seine Not und seine Kraft zu schildern und ein besseres Los des Menschen vorausahnen zu lassen. So dienen sie der Erhebung des Menschen in seinem Leben in vielfältigen Formen je nach Zeit und Land, das sie darstellen."4

Die Grundabsicht der Kunst (wie der Literatur) wird als anthropologische Entdeckungsleistung definiert. Die lateinischen Begriffe "ediscere, detegere, illustrare, adumbrare" weisen auf dieses Moment einer kognitiven Intention hin. Der Mensch in seiner konkreten geschichtlichen und kosmischen Stellung und in seiner zwiespältigen Verfassung (Elend und Freude,Not und Kraft) kommen in Kunst und Literatur zur Darstellung. Es geht aber nicht nur um eine Bestandsaufnahme der conditio humana. Die Darstellung ist auf die Vorstellung eines Fortschritts des Menschen und der Menschlichkeit ausgerichtet. Nicht nur die faktische Lage wird aufgedeckt,ein besseres Los wird umrissen.So vermag die Kunst (wie die Literatur) das menschliche Leben zu erheben ("vitam humanam. . .elevare valent"). Die Bestimmung der Kunstabsicht ist also nicht nur anthropologisch, sondern auch humanistisch im Sinne einer Humanisierung des menschlichen Lebens.

Wesensbestimmungen sind nun immer an dem zu prüfen, was sie als Realität erfassen sollen. Wenn man die hier vorgetragene Bestimmung auf das anwendet, was der bildenden Kunst üblicherweise zugerechnet wird, so ergeben sich einige Beobachtungen. Zunächst kann man, wenn man die realen Absichten derer, die Bilder machen und Bilder gebrauchen, in Anschlag bringt, von einer solchen anthropologisch-humanistischen Intention wohl doch erst seit der Renaissance sprechen. Die mittelalterliche Bilderproduktion oder die der ostkirchlichen Ikonen kann natürlich unter dieser Hinsicht gelesen werden, verfolgt selbst aber andere Absichten. Aber vielleicht hat die Pastoralkonstitution, wenn sie von "der Kunst" spricht, hier sowieso nicht jene ältere Kunst, sondern die zeitgenössische im Auge. Auch in dieser Beziehung kann man sich, wenn man die unterschiedlichen Tendenzen der Kunst der Moderne in den Blick nimmt, natürlich fragen, wieweit eine solche anthropozentrische Finalisierung die faktischen Absichten und Formen der Kunsttätigkeit erfaßt. Abstrakte und nicht gegenständliche Kunst, Op und PopArt, Kandinsky und Nam Yune Paik: das alles ist zwar, weil von Menschen für Menschen gemacht, irgendwie auf jene Bestimmung zu beziehen, aber das erwartete Menschenbild liegt doch in den Quadraten von Malevitch und Albers, den gegenstandlosen Farbflächen von Rothko und Graubner, der land art von Richard Long und den Filzstapeln von Joseph Beuys nicht so direkt zutage, jedenfalls bedarf es einiger interpretatorischer Arbeit, es aus ihnen zu erheben.

Es hat den Anschein, daß, weil Literatur und Kunst in diesem Abschnitt ja in einem Zug verhandelt werden, daß die anthropologisch-humanistische Ausrichtung primär von der Literatur her entwickelt ist, wie sie bei Sartre und Camus, Gide und Bernanos, Böll und Graham Green vorliegt. Auf sie ist sie jedenfalls viel umstandsloser anzuwenden als auf die moderne Kunstszene. Damit soll nicht bestritten werden, daß sie auch den Wahrnehmungshorizont der modernen Kunst abgeben kann. Für A. Malraux z. B. ist das "Museé imaginaire", in dem alle Kunst der Welt ihren neuzeitlichen Raum findet, eben das "Museé de l'Homme": "Das imaginäre Museum wird der Aufenthalt des unbestimmten Menschen sein."5 Es soll also nicht bestritten werden, daß eine solche Perspektive auf die bildende Kunst möglich ist,sie scheint nur primär von der Literatur, vielleicht sogar einem bestimmten Typus der Literatur herentwickelt. Das Interesse ist primär ein inhaltlich-weltanschauliches. Die Dimension der Materialität, Gestalt und Form eines Kunstwerks, der sinnlichen Energie, die von ihm ausgeht, der Augenlust, die es hervorruft, kommt dabei nicht zur Sprache. Wenn von Erhebung("elevare") die Rede ist, so ist eben daran gedacht, daß die Vision eines besseren Lebens entworfen wird, nicht aber daran, daß der einzelne Betrachter angesichts eines bestimmten Bildes, also durch seine Anschauungsgestalt angeregt,entzückt, hingerissen, Überwältigt, also in diesem Sinne erhoben, über sich hinausgehoben wird.

Das in der Pastoralkonstitution formulierte anthropologische Inhaltsinteresse zielt auf etwas, was der bildenden Kunst mit der Literatur, in gewisser Weise dann auch mit Philosophie und Humanwissenschaften gemeinsam ist. Es handelt sich also nicht um eine spezifisch kunsttheoretische Bestimmung. Aber vielleicht ist es auch ganz abwegig, so etwas an dieser Stelle zu erwarten. Der Zusammenhang ist kein kunsttheologischer, sondern ein pastoralkulturpolitischer. Es geht um die Verbesserung der Beziehungen zwischen katholischer Kirche und moderner Kultur. "De humano civilique culto cum christiana institutione rite componenda" ist dieTitelüberschrift dieses Kapitels 62. Und im Anschluß an den zitierten Abschnitt heißt es: "Von daher ist darauf hinzuarbeiten, daß die Künstler in ihrem Schaffen sich von der Kirche anerkannt fühlen und im Genuß einer geordneten Freiheit zu einem leichteren Austausch mit der christlichen Gemeinde gelangen."6 Von den "faciliora commercia" ist hier die Rede, von erleichterten Handelsbeziehungen zwischen Kirche und Kunst. Dazu bedarf es vor allem der Anerkennung des anderen und seiner Freiheit und zugleich eines gemeinsamen Interessenfeldes, auf dem ein Austausch sich als sinnvoll erweist. Die Äußerung ist also zunächst als Willensbekundung der "institutio christiana" zu lesen, in der die Autonomie der weltlichen Kultur ausdrücklich anerkannt wird. Die Kirche revidiert hier faktisch eine ältere Ansicht, die die Kunst insgesamt als Dienerin des Glaubens ansah und dementsprechend die dazu nicht bereite moderne Kunst verwarf. Die novellierte Auffassung lautet: Die Kunst ist heute autonom, aber gleichwohl für die Kirche interessant. Als gemeinsames Interesse wird die "conditio humana"namhaft gemacht.

Welches Interesse hat die Kirche an dieser Belebung der Beziehungen? Zwei Gesichtspunkte kommen zu Sprache:
1 . Die Botschaft des Evangeliums wird auf diese Weise dem menschlichen Verstand durchsichtiger und in die Lebensbedingungen der Menschen inkulturiert.
2. Die Gläubigen erlangen auf diese Weise einen Glauben, der nicht in einem Ghetto sich absondert, sondern den kulturellen Stand der eigenen Zeit voll in den christlichen Glauben integriert.

In diesem Sinne möchte die Pastoralkonstitution entschieden einen auf dem kulturellen Niveau der Zeit gebildeten Klerus.

Aus dem, was hier als Reformprogramm entwickelt wird,kann man so etwas wie Bildernfeindschaft mitnichten ableiten. Es wird ganz im Gegenteil fast renaissance-humanistisch für eine Aufgeschlossenheit gegenüber der zeitgenössischen Kultur, inclusive bildender Kunst, plädiert

Aber wir sind ja möglicherweise am neuralgischen Punkt der ganzen Angelegenheit noch nicht angekommen. Wir haben in der Besprechung des Kp.62 der Pastoralkonstitution einen Satz überschlagen, der im Gedankengang des Textes wie ein eingesetzter Bremssatz fungiert: "In das Heiligtum aber sollen sie (gemeint sind die neuen "Formen der Kunst") aufgenommen werden, wenn sie durch eine angemessene und den Erfordernissen der Liturgie entsprechenden Aussageweise den Geist zu Gott erheben."7

Was bisher gesagt wurde, bezog sich auf den Bereich der christlichen Bildung und theologischen Ausbildung; jetzt geht es um den Kirchenraum, der hier als Heiligtum, als heilige Stätte ("sacrarium") eingeführt wird. Das "sacrarium" ist etwas anderes als die offene Bildungsstätte der Humanität, es ist der ausgegrenzte Ort der Erhebung des Geistes zu Gott. Und da gelten für die Kunst noch andere Maßstäbe. Die Ausdrucksweise muß der Heiligkeit des Ortes entsprechen und den Anforderungen der Liturgie konform gehen. Nur Kunst, die dem Gottesdienst dient, hat hier Platz. Dessen Ziel ist nicht mehr bloß die Hebung der Humanität, sondern die Erhebung des Geistes zu Gott. Als die dafür maßgebende Form erscheint die Liturgie.

Der hier nach Art einer Kautele eingefügte Satz verweist somit auf jenen Text des Konzils, in dem die Rolle der Kunst im Raum der Liturgie verhandelt wird, also das7.Kp. der Liturgiekonstitution"über die sakrale Kunst und liturgisches Gerät und Gewandt(Art. 122-130).

Gleich der erste Satz des Art. 122lobt dort die Kunst in höchsten Tönen als eine der vornehmsten Betätigungen des menschlichen Geistes. Ihre Bedeutung wird jedoch anders bestimmt als in der Pastoralkonstitution. Nicht vom Inhalt –  Ausdruck der conditio humana –  sondern von der Form her: sie bringt in begrenzten menschlichen Werken die unbegrenzte göttliche Schönheit zum Ausdruck. Diese Bestimmung ist einerseits kunstspezifischer als die der Pastoralkonstitution, insofern sie an Form und Gestalt, nicht am literarischen Gehalt orientiert ist. Andererseits ist die ästhetische Qualität des menschlichen Werks gleich in einen metaphysischen Deutungsrahmen eingefügt. In einer augenfälligen Werkgestalt ist es Ausdruck der göttlichen Schönheit. Und weil dies so verstanden wird, ergibt sich eine hierarchische Staffelung von der Kunst überhaupt über die religiöse Kunst zur sakralen Kunst, die als Gipfel jeglicher Kunstausübung angesehen wird, insofern sie nicht nur faktisch wie alle Kunst Ausdruck göttlicher Schönheit ist, sondern dies selbst nochmal zum Ausdruck bringt, indem sie auf nichts anderes gerichtet ist, als den Sinn der Menschen in Verehrung auf Gott,den Grund der Kunst, hinzulenken. Diese "ars sacra" ist die Vollendung der "ars religiosa", womit man hier wohl eine Kunst mit religiösem Sujet verstehen muß, die also im Unterschied zur weltlichen Kunst bereits durch ihr Thema auf den Ursprung der Kunst verweist, auch wenn sie nicht ausschließlich der Gottesverehrung dient. Diese Hierarchie stuft die Kunst also nicht nach ihrem rein künstlerischen Rang, so daß das Meisterwerk eben das mit der höchsten ästhetischen Qualität wäre, wie es z. B. Die genieästhetische Kunstbetrachtung tut, sondern danach, wie explizit sich ein Kunstwerk auf seinen göttlichen Ursprung zurückbezieht. Diese metaphysische Wertung ist zugleich eine ekklesiale, insofern sieden Rang der Kunst von der Liturgie her bestimmt, die eben der eigentliche Ort der Gottesverehrung ist, der Ort, an dem die Welt und auch ihre Kunst am reinsten auf Gott rückbezogen wird. Die "Freundin der schönen Künste", als die sich die Kirche hier präsentiert, sucht also in allem, was menschliche Kunsttätigkeit hervorbringt, vor allem das, was dazu dient, daß die zum Kult gehörenden Dinge wirklich würdig, ansehnlich und schön sind, und beurteilt das Kunstangebot nach diesem Kriterium.

Das eingangs aufgestellte metaphysische Prinzip verschmilzt hier also mit einem funktionalen und entwickelt daraus einige konkrete Bewertungsgesichtspunkte:

1. Für die katholische Kirche ist der Stil kein Kriterium. Darin unterscheidet sie sich von der orthodoxen Kirche, die die Sakralität unlöslich mit dem bestimmten Stil der Ikonen verbunden hat, distanziert sich aber auch von bestimmten Tendenzen im eigenen Haus, die z.B. im 19. Jh. und bis in den Anfang unseres Jahrhunderts die mittelalterlichen Stile, vor allem die Gotik, als den kirchlichen Stil propagierten. Die Kunst aller Völker und Zeiten soll in der Kirche "Freiheit der Ausübung" haben, auch die moderne Kunst

2. Während die ältere Kunst gewohnheitsrechtlich gesichert ist, muß die zeitgenössische erst geprüft werden. Der erste Gesichtspunkt, der dabei ins Spiel kommt, ist ein typisch römischer, aus dem Traditionsverständnis römischer religio herkommender. Das durchaus konzedierte Neue darf nichts Revolutionäres sein, es muß sich an das, was sich durch Jahrhunderte an heiliger Stätte als angemessen bewährt hat, anschließen – und auch das ist typisch römisch – die den heiligen Riten gebührende Ehrfurcht und Ehrerbietung("reverentia et honor") wahren. Das Gewicht einer ehrwürdigen Tradition kann nur moderate Neuerungen tolerieren. Wenn man in Anschlag bringt, daß das Prinzip der modernen Kunstentwicklung gerade die beschleunigte Innovation, die Revolution von Sehgewohnheiten ist, so ist die konziliäre Position zwar nicht auf traditionalistische Abwehr der Moderne eingestellt, aber doch auf Innovation.

So werden die Bischöfe als kultische Aufsichtsbehörde angewiesen,darauf zu achten, daß "von den Gotteshäusern und anderen heiligen Orten streng solche Werke von Künstlern ferngehalten werden, die dem Glauben, den Sitten und der christlichen Frömmigkeit widersprechen und die das echte religiöse Empfinden verletzen".8 Diese Einschärfung greift deutlich zurück auf das, was das Trienter Konzil und nachtridentinische Theologen in Kunstdingen proklamiert hatten: Die Bilder unterstehen wie die Bücher der kirchlichen Zensur, die über die Reinheit des Glaubens und der Sitte wacht. Zur Zeit des Trienter Konzils war das unmittelbar gegen bestimmte Tendenzen der Renaissancekunst gerichtet, das II. Vaticanum novelliert es im Blick auf die Gegenwart. Es akzentuiert dabei etwas, dem man vielleicht nicht unmittelbar einen Verstoß gegen Glauben und Sitte nachweisen kann, wohl aber eine "Verletzung des echten religiösen Empfindens" (des "sensus vere religiosus"). Das kann auf zweierlei Weise geschehen: 1. durch die "deprivatio formarum", "Verunstaltung der Formen". 2. durch künstlerische Minderwertigkeit. In beiden Fällen wird das religiöse Empfinden also durch formale Eigenschaften der Bildwerke gestört, woraus sich jedenfalls ergibt, daß der "sensus vere religiosus" nicht nur als spiritueller, sondern auch als sensueller zu verstehen ist. Daß nicht nur der Geschmack, sondern die Religion selbst durch mediokre und kitschige Machwerke in Mitleidenschaft gezogen wird, also umgekehrt durch große Kunst wirklich gefördert werden kann, ist ein Gesichtspunkt, den jeder Liebhaber der Kunst nur begrüßen kann. Schwieriger ist der erste Aspekt, wenn mit der "Verunstaltung der Formen" das Verdikt über Tendenzen der Moderne gemeint sein sollte, die vom klassischen Formkanon abweichen. Hier könnte sich zeigen, daß jener "sensus religiosus" eben kein "vere religiosus" ist, sondern mit undurchschauten kulturellen Voreingenommenheiten operiert, die die Kirche dann doch stilistisch festlegen, was ja gerade ausdrücklich ausgeschlossen werden sollte.

Man sieht, im Umfeld der modernen Kunstproduktion macht sich das Konzil nicht die seit Mitte des19. Jh. kirchlich übliche antimodernistische Abwehrstellung zu eigen, aber es legt, was die Verwaltung des Heiligtums anlagt, doch die noble Zurückhaltung römischer Senatoren an den Tag, die die "rerum novarum cupidi" in die erforderlichen Schranken verweist. Das ist keine Reserviertheit oder gar Feindschaft gegen Bilder überhaupt.

Es könnte im Übrigen auch gelten, wenn es gar keine Liturgiereform gegeben hätte. Aber es hat sie gegeben, und es ist nun zu fragen, ob diese von der Kirche selbst betriebene Kultreform auch die Rolle der Bilder tangiert. Ob es also neben der ihr von außen durch die moderne Kunstentwicklung aufgedrängte Bilderfrage eine gibt, die sie sich selbst im Vollzug der Liturgiereform zugezogen hat. Im Kp.124 der Liturgiekonstitution stößt man auf den simplen Satz: "Beim Bau von Kirchen ist sorgfältig darauf zu achten, daß sie für die liturgische Feier und für die tätige Teilnahme der Gläubigen geeignet sind.9 Primär ist hier wohl an den Neubau von Kirchen gedacht, aber wie die nachkonziliären Ausführungsbestimmungen zeigen, gilt diese Regel auch für die Neueinrichtung bereits bestehender Kirchen.10 Primärer Sinn der Kirchenräume ist die Feier der Liturgie. Diese aber wird im Zuge des Konzils reformiert. In welcher Weise berührt das die Bilder?

Der Artikel 125 der Liturgiekonstitution setzt ein: "Der Brauch, in den Kirchen den Gläubigen heilige Bilder zur Verehrung darzubieten, werde nicht angetastet."11 "Firma maneat praxis", heißt es im lateinischen Text, als wäre sie ins Schwanken geraten. J. A. Jungmann weist in seinem Kommentar der Stelle darauf hin, daß dieser Artikel auf Forderungen der Konzilsaula zurückgehe: "Mehrere Väter hatten sich gegen den 'Bildersturm' gewandt, der in manchen Ländern eingesetzt habe. Selbst für die heiligsten Personen sei oft 'kein Platz mehr in der Herberge'."12 Hier fällt also, und zwar als Zitat aus der Konzilsaula, das Wort "Bildersturm". Das Konzil hat die Beschwerde offenbar angenommen und die Praxis der Bilderverehrung bestätigt; aber, und da wird dann doch eine gegenläufige Strömung sichtbar, auch eingeschränkt: "Sie(die Bilder) sollen jedoch in mäßiger Zahl und angemessener Ordnung aufgestellt werden, damit sie nicht die Verwunderung der Gläubigen erregen oder einer weniger gesunden Frömmigkeit Vorschub leisten."13 Dem Drang der Bilder, sich im Kirchenraum wuchernd zu vermehren, wird ein Riegel vorgeschoben: wenige und in anständiger Ordnung! Sonst nimmt die Augenlust des christlichen Volkes überhand oder eine nicht mehr so ganz christliche, vielleicht mit der Verwunderung auch wundersüchtige Frömmigkeit greift Raum. Da spricht offensichtlich nüchterner Religionsordnungswille nordeuropäischer Provenienz gegen den devotionalen Dschungel, der jenseits von Alpen und Pyrenäen zunimmt. Enthusiastische Bilderfreundschaft ist dies sicher nicht. Aber auch kein eigentlicher Ikonoklasmus, eher eine Art von visuellem Mäßigkeitsapostolat.

Was aber ist mit jener "Bilderderstürmerei" gemeint, die da einige Konzilväter beklagen? Ist sie vielleicht die radikale Form jener reservierten Haltung, die im vorliegenden Konzilstext zum Ausdruck kommt? Und hängt beides dann doch mit Tendenzen der Liturgiereform selbst zusammen?

Wenn man den Text der Liturgiekonstitution mit den späteren Instruktionen, vor allem der Konstitution "Missale Romanum"14 zusammenliest, stößt man auf mehrere Punkte, an denen die Liturgiereform de facto die traditionelle Bildausstattung katholischer Kirchen empfindlich berührt:

1. Der Hauptaltar. Er hatte sich seit dem 11. Jh. zum zentralen Bildträger entwickelt. Die anfänglich noch einfachen Steinretabeln entwickelten sich zu den gotischen Flügelaltären und den riesigen Arkadenretabeln des Barock; die historischen Stile des 19. Jh. setzten diese Tradition fort.

Die Liturgiereform enthält die Anweisung, daß der Altar freistehen soll, damit er vom Zelebranten umschritten werden kann und die Zelebration versus populum jedenfalls möglich ist. Das bedeutet eine Rückkehr zum Brauch des 1. Jahrtausends, der keine Retabeln kannte. Altarbilder sind also im Prinzip überflüssig, bei neuen Kirchen nicht mehr erforderlich. Wo sie aus nichtliturgischen Gründen beibehalten werden, verändern sie ihren Status, insofern die Kulthandlung nicht mehr auf sie zugeht. Sie werden zu einer Art Hintergrundstaffage liturgischen Geschehens.

2. Nebenaltäre. Während in der altkirchlichen Zeit jede Kirche, auch die großen Bischofskirchen, nur einen Altar besaßen, wurde seitdem frühen Mittelalter die Zahl der Nebenaltäre in Seitenkapellen oder an den Wänden und Säulen der Kirchen sukzessiv vermehrt. Ursächlich dafür war die sich entwickelnde Praxis der täglichen Privatmesse jedes Priesters, die Heiligenverehrung und die Stiftung von Altären samt zugehöriger Pfründe und Verpflichtung des Totengedächtnisses. Auch diese Altäre entwickeln sich mit ihren Retabeln zu wichtigen Bildträgern im Kirchenraum. Die Konstitution "Missale Romanum" von 1969 verordnet in Art.267: "Zahlreiche Nebenaltäre soll es nicht geben. Bei Neubauten sind sie in vom Hauptraum irgendwie getrennten Seitenkapellen unterzubringen.15 Die Liturgiereform kehrt also auch hier zur altkirchlichen Praxis zurück. Damit entfallen wichtige Bildträger. In welchem Maße auch bestehende Seitenaltäre davon betroffen werden konnten, zeigt der Kommentar von Emil Joseph Lengeling zu diesem Artikel: "Der Artikel verbietet nicht ,Nebenaltäre aus dem Kirchenschiff zu beseitigen. Wenn die Denkmalpflege das wegen der künstlerisch wertvollen Retabeln nicht erlaubt, sollten mindestens Kreuz, Leuchter und Altartücher, wenn möglich auch die Mensa entfernt werden. Manchmal lassen sich solche Altäre in Nebenkapellen aufstellen.16 Die Altarbilder, sofern sie aus nichtliturgischen Gründen erhalten bleiben, wechseln also ihren Status, insofern sie nicht mehr der Beziehungsort einer kultischen Handlung sind; die Privatmesse ist nicht mehr erwünscht. Sie werden denkmalpflegerisch-kunsthistorische Dokumente oder vielleicht Orte der privaten Meditation der Kirchenbesucher.

3. Kanzel. Die in Italien bereits seit der Gotik mit plastischem Schmuck ausgestalteten Kanzeln werden seit dem Ende des 15. Jh. auch in Deutschland gebräuchlich. Seit Spätgotik und Barock werden sie zu wichtigen Bildträgern. Die Liturgiereform kehrt zum altkirchlichen Ambo zurück, der als Lesepult entweder rein funktional konzipiert wird oder eben eine bedeutend geringere Fläche zur Bildgestaltung abgibt als die Kanzel.

4. Kult- und Andachtsbilder. Hiermit sind Bilder Christi und der Heiligen gemeint, die über den Bereich der Altarretabeln hinaus an Säulen, Wänden, auf Sockeln aufgestellt sind zum Zwecke der Verehrung (Gebet, Kniebeuge,Kerzen, Votivgaben etc.) oder der Andacht (Pietä, Johannesminne, Kreuzweg, Krippe usw.). Diese Art von Bildern hatte sich seit der Gotik in den Kirchen ausgebreitet im Zuge einer Diversifizierung der Frömmigkeit über den klerikalen Hauptkult hinaus. Die vor allem an die Heiligenbilder geknüpfte Bilderverehrung mit dementsprechenden Heilserwartungen war ein Hauptangriffspunkt der reformatorischen Bilderkritik. Das Trienter Konzil hat sie verteidigt; daran hat das II. Vatikanum angeknüpft, wie wir gesehen haben. Wenn die Liturgiekonstitution hierauf Reduzierung und Ordnung drängt, so ergibt sich das wiederum aus dem alles leitenden Interesse an der Hauptliturgie der Eucharistiefeier, von deren Vollzug und christozentrischer Orientierung die Gläubigen nicht durch Bilder und Sekundärkulte abgelenkt werden sollen.

Die fromme Übung der Volksandachten (Maiandachten, Kreuzweg und Rosenkranz, Herz Jesu- und Sakramentsandachten usw.), die ja zumeist auch eine visuelle oder wenigstens imaginative Ausrichtung haben, wird nicht abgeschafft, favorisiert wird jedoch, was bezeichnenderweise "Wortgottesdienst" heißt.

Der Durchgang durch die vier Punkte – Hauptaltar, Nebenaltäre, Kanzel, Kult- und Andachtsbilder –  zeigt, daß die Liturgiereform Raumstellen tangiert, die traditionell die wichtigsten Bildorte der Kirche waren. Die Bilder werden nicht eigentlich bekämpft, als Götzenbilder wie im byzantinischen oder reformatorischen Bilderstreit. Sie entfallen vielmehr. Sie werden im Konzept der reformierten Liturgie dysfunktional. Es ist auch einleuchtend, daß in einem Verständnis der Liturgie als "actuosa participatio" einer Gemeinschaftsfeier Bilder als Bezugspunkte der Aufmerksamkeit unnötig, wenn nicht störend sind.

Historisch zeigt sich dabei der Sachverhalt, daß die Liturgiereform des II. Vaticanums eine Art Epochensprung ist. Sie ist an der altkirchlichen Liturgie und am Bildergebrauch des 1 . Jahrtausends orientiert. Das Ideal ist der klar strukturierte, auf den einen freistehenden Altar als Mitte der Gemeinde und ihrer gemeinschaftlichen Eucharistiefeier hin orientierte Einheitsraum. Das Gegenmodell ist die polyzentrische gotische Kathedrale,in der sich die Ausübung der Religion räumlich in eine Vielzahl bildmarkierter Stellen ausdifferenziert. Der einzelne (der Priester, der seine Privatmesse zelebriert, der Fromme, der ein Bild verehrt oder meditiert) und kleine Gruppen (Familien, Zünfte, Gilden, Bruderschaften an den von ihnen gestifteten Altären) finden bildmarkierte Stellen der Ausübung ihrer Frömmigkeit außer und neben der offiziellen Hochliturgie. Frömmigkeitsgeschichtlich ist somit bemerkenswert, daß die gotische Subjektivierung, Individualisierung und Diversifizierung der christlichen Religion mit einer simultan anwachsenden Bilderorientierung verbunden ist. Diese epochale Formation reicht bis in die Neugotik des 19. und 20. Jahrhunderts.

Die sich davon absetzende, hinter sie zurückgreifende, neue Formation der Liturgiereform des II. Vaticanums ist natürlich nicht 1960-63 vom Himmel gefallen. Sie ist die Frucht der liturgischen Bewegung. In der theologischen Grundlagenreflexion der 20er und 30er Jahre wird die epochale Dimension der liturgischen Erneuerung bezeichnenderweise eben unter dem Titel "Gotik" zur Sprache gebracht. In einem Aufsatz von Konrad Weiß aus dem Jahre 1927 findet sich der knappe Satz: "Im Thema Gotik ist der katholische Kulturkonflikt verborgen."17 Weiß meint das nicht nur im Sinne einer Debatte um den neogotischen Stil, sondern im offenbarungsgeschichtlichen Sinn. Darauf ist hier nicht nähereinzugehen. Im unmittelbar liturgischen Zusammenhang taucht das Thema bei einem der Väter der liturgischen Bewegung, Ildefons Herwegen, auf. Ihm geht es um die Wiedergeburt der "Gemeinschaftsliturgie": "Das kirchliche Leben muß sich wieder zur Geschlossenheit der liturgischen Gemeinschaft zusammenfinden, damit aus ihm eine wahre Gemeinschaftskunst geboren werden kann.18 Die geforderte "Gemeinschaftsliturgie" ist aber nicht eine Neuschöpfung, sondern die Wiederentdeckung der klassischen römischen Liturgie, die im 5. /6. Jahrhundert bereits ihre vollendete Gestalt gefunden hatte; es ist die Liturgie des ersten, eben benediktinischen Jahrtausends. Die Rückkehr zu dieser Liturgie bedeutet die Abkehr vom "Irrweg"19 der Gotik. Mit der Gotik ist frömmigkeits- und kunstgeschichtlich ein Individualismus zur Herrschaft gelangt, "in dem das Einzelwesen immer stärker aus der Gemeinschaft und deren objektiven Bindungen heraustritt".20 Mit der Gotik hat ein gotisch-germanischer, subjektivistischer Ausdruckswille das kirchliche Leben und den Gottesdienst zu durchsetzen begonnen, der bis in die Gegenwart anhält, in der Kirche wie in der Kunst (wo der Expressionismus als seine letzte Ausgeburt erscheint). Er herrscht, und darin wird die auf die Formel "Antike und Germanentum!" gesetzte Universalprogrammatik des Laacher Abts vollends deutlich, auch in der Politik: "Wir Deutsche darben dieses Gemeinschaftsgeistes so bitter."[1]Und eben dies vermag die katholische Kirche zu heilen:"Zwei unvergleichliche Werte haben die Katholiken unseren Volksgenossen zu bieten: Objektivität gegenüber dem auflösenden Subjektivismus und Gemeinschaft gegenüber dem atomisierenden Sozialismus. Eine unübertreffliche Schule, in der wir diese Lebensgüter ausbilden, ist die Liturgie.22Die liturgische Bewegung – das ist hier nicht zu Übersehen – zielt nicht nur auf die Erneuerung eines binnenkirchlichen Teilbereichs, sondern von der Liturgie aus auf die des nationalen Lebens insgesamt. In diesem weitgesteckten Rahmen interessiert Herwegen die Kunst, die sich, der Gemeinschaftsliturgie entsprechend, als Gemeinschaftskunst in Stil und Ikonographie nur an der Kunst des ersten Jahrtausends orientieren kann, wenn es insgesamt darum geht, hinter den gotisch-germanischen Subjektivismus zurückzukommen. Auch bei Guardini, dem zweiten großen Vater der liturgischen Bewegung, ist diese Antithese greifbar. In seinem programmatischen Büchlein "Kultbild und Andachtsbild", das 1939 erstmals erschien, heißt es, daß die liturgische Bewegung "dem Verlangen (entstammt), aus dem neuzeitlichen Subjektivismus in ein seinsmäßiges, vom Werden der neuen Schöpfung bestimmtes christliches Leben zu kommen".23Für diesen neuzeitlichen Subjektivismus steht als Bildexponent das Andachtsbild, das dem subjektiven Frömmigkeitsleben des einzelnen zugehört, für die Objektivität der neuen Gemeinschaftsliturgie steht das Kultbild. Mit letzterem greift man zurück auf die Liturgie und Kunst des 1 . Jahrtausends, das erstere hat erst mit der Gotik die Kirchenräume erobert. Die Kirche ist von ihrem Wesen her aber der Ort der objektiven Liturgie, so daß das der subjektiven Frömmigkeit zugeordnete Andachtsbild hier nur per accidens und am Rande statthaben kann. Da man ein neues Kultbild aber nicht einfach im Rückgriff auf die alten Bildmuster machen kann, sondern erwarten muß, neigt Guardinis Denken in den Jahren nach dem Krieg zunehmend zum Schweigen der leeren Fläche, in der geheimnisvoll die Anwesenheit des Heiligen erscheint. Einen Weggefährten in dieser Auffassung des liturgischen Raums findet Guardini in dem Architekten Rudolf Schwarz.24

1972, als die Liturgiereform in der Praxis vor Ort zu greifen beginnt, klagt der in der Nachkriegszeit hochgeschätzte, mit vielen Aufträgen im Bereich der Kirchenmalerei und der Illustration des von den deutschen Bischöfen herausgegebenen Katechismus bedachte Albert Burkart in einem Artikel "Kunst im Kirchenraum": "Die Saat von Rudolf Schwarz, die schon auf das Jahr 1930 zurückgeht und den von der Kunst entleerten Raum für die Kunst verschließt und sie dafür an den privaten Raum zurückverweist, ist erst heute richtig aufgegangen und wird von vielen als Evangelium angesehen."25In Burkarts Augen ist unter dem günstigen Himmel des Konzils die jugendbewegte Saat der liturgischen Bewegung voll aufgegangen zu Lasten der Bilder im Raum der Kirche.

Was im Gefolge der Liturgiereform in der Inneneinrichtung der Kirchen vor Ort geschehen ist, dürfte sehr unterschiedlich sein. Auch wenn man A. Lorenzers harsches Urteil vom "Vandalismus des II. Vaticanums"26nicht folgen mag, ist eine Tendenz zur Reduzierung von Bildern und Bildergebrauch nicht zu leugnen. Am renitentesten haben sich wohl die Kultbilder mit ihren Kerzeneggen gezeigt, Madonna und Pieta, Statuen des Hl. Antonius und Judas Thaddäus, an denen die private Frömmigkeit durch alle Gezeiten offizieller Liturgiereform penetrant festhielt.

Mittlerweile ist jedoch auch eine Gegenbewegung nicht zu übersehen. Alte Ausmalungen werden restauriert, neue vorgesehen. Ältere Bilder werden zurückgeholt, hier und da mit modernen experimentiert. Das prominenteste Beispiel aus der jüngsten Zeit ist die Münchener Frauenkirche, aus der Anfang der 70erJahre nicht weniger als 700 Kunstwerke, vor allem barocker Provenienz, entfernt wurden und die nun Anfang der Neunziger wiederum im neuen Glanz der alten Bilderopulenz erstrahlt. Aber nicht nur im Bereich der hohen Kunst, auch auf dem Niveau der Gebrauchskunst (Bilder aus Kindergarten und Jugendgruppen, Plakate, Dias) macht sich, wenn auch nicht gerade wild, ein Hunger nach Bildern bemerkbar.

Was hier geschieht, ist schwer zu überblicken oder gar zu bewerten. Ist es ein konservativer Schwenk, der auch auf anderen Sektoren hinter das II. Vaticanum zurück möchte? Ist es des Gottesvolkes Volkstümlichkeit, die sich gegen auferlegte Rationalität ihr Recht verschafft? Ist es die visuelle Zivilisation, deren Ansprüche auch in der Kirche das Ende der verbalen Gutenberg-Galaxis, wie das genannt wurde, einläutet? Sind es Desiderate des Tourismus, der ohne Sehenswürdigkeiten ins Leere läuft? Postmoderne Dekorationslust? Pastorale Mitmachpädagogik? – Differenzierte Motivforschung wäre hier sicher vonnöten. Theologisch ist m. E. vor allem zu bedenken, mit welcher Art von Frömmigkeit sich die Wiederaufnahme von Bildern verbindet. Die bloße Restituierung der alten Bilder kann ja die damit verbundenen Bilderpraktiken nicht einfach mitliefern. Vor den reetablierten Nebenaltären werden ja nicht wieder Privatmessen gefeiert. Werden sie also etwas anderes sein als festliche Raumstaffage oder kunsthistorische Sehenswürdigkeit? Merkwürdigkeiten entstehen auch. An der Chorrückwand der gerade fertiggestellten romanischen Kirche St. Kunibert in Köln ist neuerdings z. B. das Bild einer Gregorsmesse angebracht. Hinter dem versus populum zelebrierenden Priester zelebriert Rücken an Rücken im Bild der Papst mit Blick auf einen Altar, auf dem der Schmerzensmann in eben jeder Pose erscheint, die der zelebrierende Priester vorn auch einnimmt. Wenn man das Bild in der Apsis ernst nimmt, ist das Ganze etwas komisch, vielleicht auch kritisch. Aber vielleicht wird es gar nicht so ernst genommen, ist nur alter Schmuck. Oder der Direktor des Diözesanmuseums beschwert sich, weil ein Antonius-Bartreliquiar, das ihm als Leihgabe überlassen war, von eben dieser Kirche St. Kunibert zurückgefordert wird. 27

Nach der kritischen Intervention des Konzils kann man nicht einfach zu früherer Naivität zurückkehren. Es geht schließlich um die Verehrung Gottes an der Wende zum 3. Jahrtausend, um die Ausübung der christlichen Religion im Zeitalter grassierender Säkularisierung. Der Zustand, in dem die Religion sich derzeit in Mitteleuropa befindet, sollte m. E. noch einmal nachdenken lassen über die Beobachtung, daß das gotische Aufkommender Bilder mit dem Prozeß einer Subjektivierung, Individualisierung und Diversifizierung der Religion zu tun hatte. Die Liturgiereform des II. Vatikanums wollte im Rückgriff auf frühchristliche Modelle das Christentum zu einer entschiedenen Gemeinschaftssache machen. Religion ist aber in der Folgezeit in einem Ausmaß zur Privatsache geworden, daß manche Kirchenoberen schon die Zuflucht bei den visuellen Künsten von Werbeagenturen suchen, um die versprengten Schafe heimzuholen.


1 Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute, Art.62, zit. nach: Das zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare III (LthK Erg.Bd.), Freiburg/Brsg. 1968, 476-484.
2 Konstitution über die Heilige Liturgie, Art.122-130, zit. nach: Das zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare I (LthK Erg. Bd.),Freiburg/Brsg. 1966, 101-130.
3 Dekret über die sozialen KommunikaOltionsmittel, Art. 6, zit. nach: Das zweite Vatikanische Konzil. Dokumente undKommentare I, 123.
4 a.a.O.481.
5 A. Maraux, Propyläen Geist der Kunst. Metamorphose der Götter, Bd. III,Frankfurt/M. 1978, 264, vgl. dazu: A.Stock, Zwischen Tempel und Museum. Theologische Kunstkritik. Positionen der Moderne, Paderborn 1991, 213-217.
6 a.a.O.481.
7 a.a.O.481.
8 Art. 124, a.a.O. 103.
9 a.a.O.103.
10 Vgl. Apostolische Konstitution "Missale Romanum" (1969), in: E. J. Lengeling, Die neue Ordnung der Eucharistiefeier. Allgemeine Einführung in das Römische Meßbuch. Endgültiger lateinischer und deutscher Text. Einleitung und Kommentar, (Reihe lebendiger Gottesdienst17/18) 117-451.
11 a.a.O. 103.
12 ebd.103.
13 ebd.103.
14 Vgl. a.a.O. 370-395 (Art.252-280).
15 ebd.381.
16 ebd.381.
17 K. Weiß, Das gegenwärtige Problem der Gotik, Augsburg 1927, 10; vgl. dazu A.Stock a.a.O. 79f.
18 I. Herwegen, Lumen Christi (Gesammeltte Aufsätze), München 1924, 89.
19 Ebd. 73; vgl. dazu A. Stock a.a.O. 86-92.
20 I. Herwegen, christliche Kunst und Mysterium, Münster/Westf. 1929, 30.
21 ders., Lumen Christi, 90.
22 ebd.90.
23 R. Guardini, Kultbild und Andachtsbild.Brief an einen Kunsthistoriker, Würzburg (1939), 19523, 22.
24 zum ganzen vgl. A. Stock a.a.O. 121-129.
25 A. Burkart, Kunst und Kirchenraum, in: Mün.25 (1972), 389-393, 389.
26 A. Lorenzer, Das Konzil der Buchhalter. Die Zerstörung der Sinnlichkeit. Eine Religionskritik, Frankfurt/M. 1981, 179.
27 Vgl. Plotzeck, Zur Konzeption des Kölner Diözesanmuseums, in: Schwarz auf Weiß. Informationen und Berichte der Künstler-Union Köln 1993/2 (November 1993), 10-18,12.