Zur christlichen Thematik moderner Kunst.
Versuch einer Phänomenbeschreibung mit Hilfe der Kunstgeschichte


VON INGE HABIG
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Gibt es eine moderne christliche Kunst, und was an ihr ist das Christliche ?

Das dreiteilige Seminar im Rahmen der Jahrestagung nähert sich dieser Fragestellung, indem die moderne Kunst seit ca. 1900 zunächst mit der alten christlichen Kunst des Abendlandes bis vor dem Ende des 18. Jhs. verglichen wird. Dabei stellen sich die fundamentalen Unterschiede zwischen beiden Kunst-Ären heraus, so daß sich die einzelnen Epochen bis zur Französischen Revolution quasi zu einer einzigen Epoche zusammenschließen, in welcher die bildkünstlerischen Erzeugnisse immer wieder im christlichen Raum beheimatet waren. Die Bildwerke waren eingebunden in die Liturgie, sie dienten dem Schmuck von Kirchenräumen, von kirchlichen Geräten und kirchlichen Feiern, sie regten zur Betrachtung und zum Erkennen christlicher Lehre an, sie stellten die Ideale christlicher Lebensführung dar und vermittelten christliche Hoffnung im Leben und Sterben. Die Künstler stellten ihr Können und ihre schöpferischen Begabungen in den Dienst dieser Aufgaben. Sie veranschaulichten die biblischen Geschichten und verliehen der theologischen Lehre eine bildhafte Gestalt. Darin verwirklichten sie ihre künstlerischen Probleme und Anliegen. „Gott hatte eine Bildgeschichte in der Kunst" (W. Schöne).

Seit dem 19. Jahrhundert wanderte die christliche Bild-Thematik und deren Aufgaben aus den Zentren des Kunstschaffens und der künstlerischen Bedürfnisse in mehr oder weniger belanglose Randbereiche ab. Die Geschichte der Kunst ging ihre eigenen Wege fast ohne Berührung mit christlichem Glaubensleben. Die vormals so bewährte christliche Ikonographie verlor ihre Geltung. Bedeutende Kunstwerke gelangten kaum noch in die Kirchen, denn es bestanden nur noch wenige thematische und funktionale Bindungen. Große Bild-Kunst ist seitdem nur noch selten christliche Kunst in dem bisherigen Sinne. (Die Ursachen hierfür sind nicht Gegenstand unserer Fragestellung.)

Die "kopernikanische Wende" der abstrakten Kunst in unserem Jahrhundert schuf nun noch eine neue Situation. Es entstanden ganz neue Bilderwelten, die in jeder Hinsicht in neuer Weise nach ihren Sinngehalten befragt werden sollen. Wenn Kunst heute „universale Weltdeutung" ist und viele der modernen Künstler sich mit christlichen Inhalten auseinandersetzen, ist es nicht nur legitim, sondern geboten, diesen Kunstwerken mit der Frage nach ihrer christlichen Aussage zu begegnen und zu prüfen, ob es "jenseits" der alten christlichen Ikonographie eine neue Bildsprache gibt, die einer christlichen Bedeutung offensteht und eine solche vielleicht sogar provoziert.

Die These des Seminars ist es nun, daß die gegenstandsungebundene, die gegenstandsfreie und die gegenstands-willkürliche bildende Kunst unserer Moderne Inhalte besitzt, die neue christliche Akzente zu setzen vermögen. Damit kehrt sich der Interpretationsweg um: Während das fromme Bild der alten christlichen Ikonographie seinen Charakter unmittelbar von der veranschaulichten, lehrmäßig festgelegten Thematik erhielt und von daher seine christliche Funktion erfüllte, bietet das moderne Bild von sich aus in eigener "Machtvollkommenheit" als ein selbstseiendes „Gebilde eigenen Rechtes“ (Arnold Gehlen) Tiefendimensionen an (oder nicht!!), die von Christen als christlich erkannt werden können. Dies gilt es aufzuzeigen. Es gilt, mit Hilfe der Kunstgeschichte einsichtig zu machen, daß das fromme Bild einen geschichtlichen Weg nahm von der objektivierbaren Darstellung und Veranschaulichung christlicher Thematik zu ihrer subjektiven, quasi unsagbaren, nur noch bildhaft-hermetisch vermittelten Vergegenwärtigung. Christliche Darstellung ist von der Sprache des Themas in die Sprache der Form abgewandert und damit gewissermaßen ikonoklastisch geworden. Anders und mit Kategorien Kants ausgedrückt: Die Veranschaulichung von Transzendenz ist zur Vergegenwärtigung von Transzendentalität geworden.

Zwei Richtungen der historischen Rezeption begleiten diesen Weg: die eine enthält das Verhältnis der Bilddarstellungen zur darin verarbeiteten sinnlichen Wirklichkeit, die andere das Verhältnis zum darin ausgedrückten christlichen Glauben. Die Art, wie beide Beziehungen miteinander verschmelzen, bestimmt weitgehend die Aussage des frommen Bildes einst und jetzt.

Hier setzt die interpretatorische Arbeit des Seminars an. In drei großen Schritten werden zunächst Beispiele der christlichen Kunst „alter Arte aus den Jahrhunderten bis zum Barock, dann aus der Zeit des 19. Jahrhunderts als der hier gemeinten "Vormoderne" und schließlich aus unserer Moderne des 20. Jahrhunderts betrachtet und auf unsere Leitfrage hin untersucht. Dabei stellt sich heraus, daß Aussagen moderner Bildwerke, die sich im weitesten Sinn christlich verstehen, weder an die Darstellung traditioneller christlicher Inhalte gebunden sind noch die Mittel figürlicher Wiedergabe benutzen. Demgegenüber werden vielfach mit Hilfe subjektiv erfundener, gegenstandsfreier und gegenstandsverfremdeter Formen und Farben christliche Gehalte durch ganz wenige Bildsignale assoziiert. Eine Metaphorik des Unsagbaren und Gestaltlosen christlichen Glaubens tritt in die künstlerische Erscheinung. Dem Betrachter ist es anheimgegeben, sich auf diese vom Bildwerk initiierte Bedeutung meditativ einzulassen. Er kann ihre Offenheit mit substanziellen Glaubensinhalten füllen.

Der ikonographische "rote Faden" des Seminars war in allen Epochen das Thema "Kreuz, Kreuzigung, Passion".