Prof. Heinz-Albert Heindrichs


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Es muss im Sommer 1937 gewesen sein - ich war noch nicht sieben Jahre alt - da fuhr Vater mit mir zum ersten Mal von Köln nach Altenberg; dort trafen wir auch Vaters Bruder, den Onkel Josef, mit einer Reihe von Jugendlichen: er war Kaplan in Köln-Kalk und, wie ich später erfuhr, Präses der Kölner Sturmschar, die sich, von den Nazis bespitzelt, hier heimlich bei Prälat Wolker zusammenfand. Im Herbst dieses Jahres waren wir wieder dabei, als es auf dem Wiesenabhang hinter dem Dom eine Reihe von Zelten gab, in denen wir, zusammen mit den Klampfe spielenden und Erbsensuppe kochend den Jungs der Sturmschar, ein bündisches Wochenende lang kampierten. Vielleicht, so vermute ich, waren wir das familiäre Alibi eines politisch keineswegs geduldeten Treffens.

Jedenfalls verbrachten Onkel Josef und Prälat Wolker zu welchem Zeitpunkt weiß ich nicht mehr einige Monate miteinander Im Gefängnis, angeblich wegen "kommunistischer Umtriebe". Ich sehe mich mit Vater über den Kölner Chlodwigplatz gehen, als uns ein Trupp marschierender SA-Leute entgegenkommt und Vater sagt: "Das sind die bösen Leute, die den Onkel Josef ins Gefängnis gebracht haben" - ein Satz, der tief in mich eingedrungen ist.

Josef Heindrichs wurde, wohl um ihn nicht weiter zu gefährden, in einer ans deren Diözese eingesetzt; nach dem Krieg war er zunächst Pfarrer bei Siegburg, dann Dechant in Euskirchen und Monsignore im Kölner Domkapitel. Wir selbst wurden durch die Bombenangriffe auf Köln sehr früh obdachlos, und erst nach mehreren Evakuierungsjahren gab es 1946, nun in Bonn, wohin sich Vater als Lehrer versetzen ließ, wieder ein famjljäres Zuhause, aber endlich auch. in der aufblühenden Katholischen Jugend, das Zusammenfinden von gleich gesinnten Altersgenossen. Bald sangen wir im Singekreis, den ich später selbst übernehmen durfte, Liedsätze von Adolf Lohmann und Hans Kulla, die uns aus Altenberg erreichten und zum Zentrum der Gruppenarbeit wurde schon bald das Altenberger Singebuch. Natürlich fuhren wir nach Altenberg, standen nun zu Tausenden auf dem Wiesenabhang und erlebten Wolkers Ansprachen, und in meiner Erinnerung waren die Vorkriegserlebnisse immer präsent.

Als Komponist, der Ich damals schon werden wollte, hatte ich vor den Mitgliedern der Werkgemeinschaft allerdings einen gehörigen Respekt, und so sollte es noch einige Zeit dauern, ehe ein direkter Kontakt zustande kam. Es war 1948, im Frühjahr vor der einschneidenden Währungsreform, als Hans Haven, der damals spektakulärste Regisseur von Laienspielen, mit über hundert Bonner Mitwirkenden das "Überlinger Münsterspiel'' von Alois Johannes Lippl inszenierte; es wurde auf großen Kirchplätzen In verschiedenen rheinischen Orten zur Aufführung gebracht. Mich hatten sie für die Hauptrolle, den Johannes, vorgesehen, und auch die Musik stammte schließlich von mir. Im Sommer kam die Einladung aus Altenberg: Prälat Wolker wollte das Stück im Innenhof des Jugendhauses aufgeführt sehen. In einem großen Sessel saß er majestätisch breit und mit wohlwollender Miene vor der offenen Tür des Goldenen Saales, und vor allem für ihn wollten wir besonders gut sein. Als Prälat Wolker meinen Namen erfuhr, wollte er mich unbedingt sprechen, und meine kindlichen Erinnerungen aus der Vorkriegszeit haben ihn damals sichtlich bewegt. Seitdem erhielt ich Einladungen aus Altenberg, und so kam am Ende der vierziger Jahre ein erster, wenn auch noch passiver Kontakt mit der Werkgemeinschaft zustande.

Aktiv wurde er, als ich Anfang der fünfziger Jahre an der Kölner Musikhochschule vor allem Komposition zu studieren begann, aber Fritz Schieri mein Lehrer in den Fächern Dirigieren und Partiturspiel wurde. Er setzte mich einfach kurzerhand bei Veranstaltungen In Altenberg ein zum Beispiel als Continuospieler bei Kammermusiken oder als Gesangssolist bei alter und neuer Kantatenmusik, und so wuchs ich langsam, aber wie selbstverständlich in die Werkgemeinschaft hinein, übers nahm Aufgaben und war glücklich, in diesem besonderen Kreis angenommen und akzeptiert zu werden.

Als ich 1957 als Kapellmeister an die Essener Bühnen ging und damit ein unruhiges Theaterleben für mich begann, in dem ich über 200 Bühnen-, Hörspiel- und auch Filmmusiken geschrieben habe und aus dem ich erst Ende der sechziger Jahre wieder auftauchte, um nun eine Hochschullaufbahn zu beginnen da war an eine kontinuierliche Mitarbeit in der Werkgemeinschaft gar nicht zu denken. Trotzdem setzte mich Johannes Aengenvoort, der meine drei Söhne taufte und mit dem mich eine herzliche Freundschaft verband, immer wieder als Referenten der Werkgemeinschaft ein, wann immer die Auftragslage mir das erlaubte. So riss die Verbindung nie ab und als der Vorstand mich zu Beginn der siebziger Jahre in den Führungskreis berief, da schien mir das, nach den turbulenten Theaterjahren, so wie die Rückkehr des verlorenen Sohnes in das heimatliche Haus: denn als eine Heimat unter Gleichgesinnten hatte ich die Werkgemeinschaft ja von Anfang an erlebt und verstanden.

Seitdem habe ich der Werkgemeinschaft kontinuierlich zur Verfügung stehen können: In den siebziger Jahren, so denke ich, als Kritiker wie als Zuträger neuer Ideen; es war die Zelt, in der die Werkgeimeinschaft sich schwer tat, mit der veränderten soziokulturellen Konstellation nach '68 fertig zu werden, mit einem Zeitgeist, der den Bruch mit der Vergangenheit provozierte und nur das Jetzt gelten lassen wollte, aber deshalb auch keine Zukunft hatte. In den achtziger und neunziger Jahren habe ich der Werkgemeinschaft wohl ganz konkret neue Impulse vermitteln können, vor allem In den neun Jahren, in denen sie mich von 1988-97 zum zweiten Vorsitzenden gewählt hatte. Während meiner nun fast dreißig Führungskreisjahre durfte ich in Altenberg sieben Jahrestagungen ausrichten, die neue Themenschwerpunkte ins Spiel brachten, und bei ebenso vielen war ich stichwortgebend und aktiv beteiligt.

Wenn meine Knochen auch brüchiger geworden sind, im Herzen und im Kopf fühle ich mich den Jüngeren in der Werkgemeinschaft zugehörig - und ich freue mich, dass sie nun endlich, als Hoffnungsträger auf Zukunft hin, die Verantwortung übernommen haben. Wie es vielen Neugründungen der Nachkriegszeit widerfuhr, so schleppte ja auch die Werkgemeinschaft lange Zeit das Problem mit sich herum, der nachfolgenden Generation nicht früh genug die Verantwortung überlassen zu haben. Nachdem sich das Problem zwar spät, aber auf glückliche Art gelöst hat, steht nunmehr die reelle Chance ans die Werkgemeinschaft Innovativ auf das neue Jahrhundert einzustellen, ohne das Alte über Bord zu werfen. Dafür stehen die Zeichen nicht schlecht; denn längst hat unsere Gesellschaft begriffen, dass ein existentielles Weitere kommen, ja ein Überleben vielleicht, nur möglich sein wird, wenn Zukunft und Vergangenheit einander nicht ausschließen.

Dies musikalisch begreiflich zu machen, dazu ist die Werkgemeinschaft eigentlich prädestiniert: sie hat den großen Schatz christlich-abendländischer Musik im Rücken, ohne an ihn gekettet zu sein. Sie kann es wagen, neue Wege zu erkunden, ohne Basis zu verlieren.

So jedenfalls habe Ich die Werkgemeinschaft seit ihren Gründungsjahren sehen und lieben gelernt. In der Tat - ohne die Pionierarbeit ihrer Gründungsväter wären bestimmte Weichen in der Jugendbewegung der Nachkriegszeit, vor allem aber bei der Liturgiereform musikalisch nicht oder anders gestellt worden. Es ist jedoch heute an der Zeit, solche Wagnisse wieder aufzunehmen und eine Erneuerung gerade solcher Kommunikationsformen anzustreben, die eine Brücke von der Vergangenheit in die Zukunft schlagen. Dies ist meine Hoffnung, wie es mit Altenberg weitergehen könnte und dafür steht der Wind im beginnenden Jahrtausend günstig, während er uns im vergehenden alten ja geradezu ins Gesicht geblasen hat. Dass ein kräftiger Wind in die Segel kommt, das vor allem wünsche ich der Werkgemeinschaft für die kommenden Jahre.