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Am 27. Februar 2000 feierte Domkapellmeister Michael Witt, der seit 1992 als Referent bei der Werkgemeinschaft tätig ist und seit 1996 eine der Sommerwochen in der Wies leitet, sein 25=jähriges Dienstjubiläum an St. Hedwig, Berlin. Dabei wurde ihm vom Kardinal für seine Verdienste um die Kirchenmusik die Silberne Hedwigs-Medaille überreicht, die höchste Auszeichnung des Bistums Berlin. Die folgende Laudatio zu diesem Anlass hielt Pfr. Peter Wistuba.

Sehr geehrter Herr Domkapellmeister, lieber Michael Witt, sehr geehrte Damen und Herren!

In dem auch 1975 schon wöchentlich erscheinenden St. Hedwigsblatt finden sich in der Ausgabe vom 2. März unter der Rubrik 'Gemischtes', zwischen 'Bußgang der Männer' und 'Brautseminar' unter der Überschrift 'Domchor von St. Hedwig' folgende Zeilen:
Mit Wirkung vom 1. Februar 1975 übernahm Herr Michael Witt das Amt des Domorganisten und die Leitung des Kirchenchores der St. Hedwigskathedrale. Um den Chor der Berliner Bischofskirche zu erweitern, werden die Gläubigen Berlins und der Randgebiete, die bereit sind, an der Kirchenmusik mitzuwirken, herzlich eingeladen, sich für diesen Dienst zur Verfügung zu stellen.
Die Anmeldung kann erfolgen beim Dompfarramt von St. Hedwig, Hinter der Kath. Kirche 3, Eingang über den Hof hinter der Kathedrale. Der Chorleiter ist jeden Montag von 17.00 Uhr an zu sprechen.

Außerdem soll mit dem Aufbau eines Kinderchores begonnen werden. Eltern deren Kinder (ab 3. Schuljahr) gern im Kinderchor der St. Hedwigskathedrale mitsingen möchten, sind gebeten, sich um die gleiche Zeit, nämlich Montag ab 17.00 Uhr, mit ihrem Kinde beim Dompfarramt von St. Hedwig einzufinden (Tel. 207 13 61).

So also fing alles an. Dem Text ist noch anzumerken, dass das zweite Vatikanische Konzil so lange noch nicht her sein konnte. Es galt, die 'Schätze der Kirchenmusik zu bewahren', wie es das Vaticanum II formulierte. Vieles musste aber erst wieder ausgegraben, freigelegt werden, damit es nun seinen angemessenen Platz fände in der Katholischen Kirchenmusik. In 25 Jahren sind Sie, lieber Herr Witt, geradezu zu einem 'Schatzgräber' geworden.
Es muss der ökumenische Geist Gottes gewesen sein, der die seinerzeitige Bistumsleitung bewog,einen jungen, gerade mal 34jährigen evangelischen Kirchenmusiker mit dieser Aufgabe in der katholischen Bischofskirche zu betrauen; denen gilt für diesen Glücksgriff heute noch unser Dank!

In den dann folgenden 15 Jahren haben Sie, lieber Herr Witt, etwas aufgebaut, was seinesgleichen in der damaligen DDR suchte.

Von Anfang an war deutlich: da ist ein Mann mit Kompetenz, mit musikalischer, theologischer, liturgischer, pädagogischer Kompetenz, ein Mann, der weiß, was er kann und will. Ein Kirchenmusiker, dem es gelang, intuitiv und zielgerichtet Musik im Gottesdienst zur Glaubensverkündigung werden zu lassen. Hier sei dem lieben Gott ein zweites Mal gedankt, dass er uns immer wieder Menschen erleben lässt, die, ausgestattet mit solchen überreichen Begabungen, diese nicht für sich behalten, um sich darin zu sonnen, sondern damit wuchern zum Heil und zur Freude anderer.

Die Aufbauarbeit war mühsam und beschwerlich aber von Erfolg gekrönt.

An dieser Stelle sei ein besonderes Dankeswort gesagt auch zwei Frauen, ohne die das Werk wohl so nicht gelungen wären Ihrer Ehefrau , die sich um die weniger musikalische Waschmaschine und den unmusikalischen Kochherd gekümmert hat, sich aber immer noch die Zeit nahm, ihren künstlerischen Ambitionen nachzugehen, um andere damit zu erfreuen, und gegebenenfalls in häuslicher Abgeschiedenheit ihrem Mann auch mal aus eigener Chorerfahrung die Meinung 'geigen' konnte, in schwierigen Zeiten den Rücken stärkte – und das nicht etwa der Bandscheiben wegen; und schließlich waren da ja auch noch fünf Kinder zu versorgen, nicht nur mit Musik! Und alle fünf so individuelle Typen, wie der Meister selbst...

Die zweite helfende Hand, gar nicht mehr wegzudenken, Frau Moll, die in ihrer Art Manches hat auffangen können und wollen, Manches auch ausgeteilt hat, um schwierige Situationen zu entschärfen. Wo viel gegeigt wird, reißt auch mal eine Saite. Aber alles wurde hernach immer wieder zum Klingen gebracht. Und darauf kommt es an! Das eben ist dem aufmerksamen Sänger nicht verborgen geblieben: wir alle sind aneinander und miteinander gewachsen.

Dass die Bistumsleitung Ihre so vielfältige und differenzierte Arbeit, die immer über den Ort der Kathedrale hinaus nachhaltig in unser Bistum hing ein gewirkt hat, zu würdigen wusste und nicht mehr missen wollte, brachte sie zum Ausdruck, indem Ihnen eine Entlastung zuteil wurde: zum einen Herrn Lortz, der so prächtig in seine Arbeit hineingewachsen ist und ganz nebenbei, gewissermaßen als Zugabe, sich noch ein 'dickeres Fellchen' hat zulegen können. Das braucht man! Danke Guido!

Zum anderen wurde Thomas Sauer zum Domorganisten berufen. Ein Glücksfall auch für die Orgelmusik an der Kathedrale.

So also konnte die Arbeit voran gehen. Ihre Liebe galt und gilt vor allem der Chormusik. Die Kinder, die Jungen und Mädchen, die jungen Leute der Jugendkantorei, die 'Alte Musik', die Choralschola, ob Sänger oder Instrumentalist – sie alle werden eines Tages erkennen können – oder haben es schon getan –, was die musikalische Arbeit mit Ihnen an Lebensfreude und Lebensmut, an Glaubenseinsicht und Gotteserkenntnis ihnen zugebracht hat; Musik ist eine Sprache des Himmels.

Ich selbst habe mit den anderen Mitgliedern des ehemaligen Domchores von St. Hedwig diese Erfahrungen machen können während der vergangenen 18 Jahre. Manches Tief habe auch Ich durch das Musizieren mit Ihnen durchstanden und bin dadurch auch reifer geworden. Wir haben die Erfahrung machen können, dass, wie wir es im 'Elias' gesungen haben, Gott nicht im Donner und Getöse menschlicher Überheblichkeit, sondern in dem leisen Säuseln des Windes wahrnehmbar wird. Dieses leise Säuseln haben Sie in den Jahren immer deutlicher zum Klingen gebracht und hat uns Sie als Mensch und Chorleiter immer Iiebenswerter gemacht.

Unsere gemeinsamen Chorfahrten bis an die Grenzen der DDR, nach Polen oder Italien sind uns allen in bleibender und prägender Erinnerung. Gerade auf diesen Chorfahrten konnte zum Tragen kommen, was einen Chor ausmacht. Dass wir eine Chorgemeinschaft sind aus evangelischen und katholischen Christen, war und ist eine Bereicherung im Sinne der Ökumene, die in dieser Weise mit Ihrem Dienstbeginn in St. Hedwig begonnen hat.

Dass ein Mensch nicht nur Rundungen, sondern auch Ecken und Kanten haben darf, versteht sich von selbst. Aber Sie waren uns immer glaubwürdig; ein Mann, der sich für keine 'niedere' Arbeit zu schade war, das 'Grobe' nicht scheute, weil das eben auch zu Ihrem Wesen gehört. Dass gerade eine solche Haltung Sie in den Augen mancher Zeitgenossen disqualifiziert hat, spricht nicht für jene.

Ich sprach eingangs von den 'ersten fünfzehn Jahren'. Zehn Jahre fehlen noch. Ein gewaltiger Zeitraum für eines reifen Menschen Leben und Schaffen.

Natürlich haben wir weiter musiziert. Aber manche sich nicht auflösen wollenden Dissonanzen haben sich eingemischt; Generalpause war angezeigt und keiner wusste, wie lange diese Spannung wird ausgehalten werden müssen. Weil Sie so sind, wie Sie sind, ist Ihnen die Kraft zugewachsen, auszuhalten, was eigentlich kaum aus zuhalten war. Ihre Bescheidenheit ist Ihre Stärke gewesen. Sie haben sich nicht für fragwürdige Ziele verbogen oder verbiegen lassen. Sie sind sich selbst In schwerer Zeit treu geblieben – und uns. Ich danke auch unserer Bistumsleitung, die in den vergangenen 25 Jahren wirklich zu Ihnen gestanden hat.

Ein Zeitgenosse, Robert Jungk, Schriftsteller und Publizist, Jahrgang 1913, gewesener Honorarprofessor an der Technischen Universität Berlin, hat sich in seinem Buch 'Der Jahrtausendmensch' des Themas 'Bescheidenheit' angenommen und gesagt: „Es gilt also, diese Tugend (der Bescheidenheit) von einem Makel zu befreien, dem sie durch unverschuldeten Missbrauch anheimgefallen ist, ein Schicksal,das die Bescheidenheit mit vielen anderen hohen Werten und Zielen teilt, deren Wahrheit durch skrupellose Verwendung zur Lüge wurde, zum Betrug, auf den man nur noch mit Ärger oder Spott reagiert. Eine solche Ehrenrettung ist düngend, weil die Ablehnung der Bescheidenheit, die man heutzutage oft trifft, zur Verweigerung einer historisch gebotenen, unerläßlich gewordenen Kurskorrektur führt.

Erster und oft schwerster Entschluss für jeden Einzelnen: sich selbst erkennen, seine Schwächen nicht mehr verstecken, sondern ohne Beschämung annehmen, seine Stärken erkennen, sie aber nicht überschätzen. Die VerIockung, etwas anderes sein zu wollen, als man ist, einem Beruf oder einer Rolle nachzustreben, die nicht ausgefüllt werden kann, Prestige höher einzuschätzen als Zufriedenheit, ist heute größer denn je. Eine bescheidene Haltung macht sicher, sie entspannt, sie öffnet den Menschen für Freundlichkeit, Brüderlichkeit und Zusammenarbeit.

Nur der bescheidene Mensch kann auch ein toleranter Mensch sein. Er ist bereit, dem anderen seinen ihm zustehenden Platz zu lassen, seine ihm eigene Art und besonderen Gewohnheiten zu ertragen. Dafür kann er erwarten, dass man auch ihm gegenüber Rücksicht übt. Liebe ist ohne Bescheidenheit unmöglich“

Lieber Herr Witt, Sie haben sich für dieses Ihr 25-jähriges Dienstjubiläum zwei Werke ausgewählt, mit denen Sie Dank sagen wollten für alles Vergangene. 'In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über Dir Flügel gebreitet'. Möge auch Mendelssohns 'Lobgesang' Ihnen und uns allen über Dunkelheiten der Seele hinweghelfen, wie es der Komponist über sich selbst sagt. Wir haben die Auswahl der Werke des heutigen Abends verstanden - und auch die Texte.

Herr Domkapellmeister Witt: Danke für alles; möge es allen Musizierenden, die lernen und verstehen, leben und glauben wollen, vergönnt sein, dies noch lange unter Ihrer Leitung tun zu können. In den Jahren ist mehr gewachsen als nur Sympathie! Die Musischen 'aus allen Teilen der Welt', die heute hier angereist sind, sind ein sichtbares und hörbares Zeichen dafür.

Möchte es Ihnen vergönnt sein, das Viele noch tun zu können, was Sie lange schon mal machen wollten...

Befragt, wie er denn das von ihm angezielte Arbeitspensum schaffen wolle, antwortete Yehudi Menuhin: Wer gute Musik macht, lebt länger!